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Auch Helden müssen mal Fußböden wischen

  • Katharina Gross

  • Mi, 19. September 2001
    Zisch

     

Ben Becker, Schauspieler mit Sangesstimme und Band, konnte beim Freiburger Konzert im Jazzhaus nicht nur Musikalisches und Großstadt-Poetisches bringen.

Der Name Ben Becker ist nach Filmen wie "Schlafes Bruder" oder "Comedian Harmonists" ein Begriff. Bühnenkenner erinnern sich auch an den rothaarigen Franz Biberkopf in der Bühnenfassung von Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz". Der Grimme-Preisträger begann einst mit Hörspielen und Fernsehserien. Mittlerweile aber hat Becker sich in die deutsche Schauspielelite gespielt. Dass er auch Musik macht und mit einer eigenen Band namens "The Zero Tolerance Band" tourt, war für einige hundert Freiburger Grund genug, sich neugierig im Jazzhaus zu versammeln.

Ist das nun wieder so ein Schauspieler, der sein "Multitalent" unter Beweis stellen will, indem er seinen Filmerfolg für die Popularität seiner Musik benutzt? Kaum, denn was bei Jan Josef Liefers eine entscheidende musikalische Rolle spielt, ist bei ihm eher Nebensache.

Ben Becker ist weniger Rock-Sänger, als vielmehr Großstadtpoet mit Effektband. Ein Schauspieler, der seinen Weltschmerz auf der Bühne auskotzt. So erinnert sein Auftreten manchmal an die Hemmungslosigkeit eines Robbie Williams, aber immer mit dem Prosa-Charme eines Bertolt Brecht. Sein Publikum: vorwiegend Kinofreaks und Deutschlehrer. Einige ältere Theaterliebhaber sind beim Eintreten geschockt, dass der Raum eher eventmäßig nicht bestuhlt ist - und organisieren kurzerhand Stühle. Da ertönt von Backstage dumpf ein motivierender Kampfschrei, wie man das von martialischen Sportarten her kennt. Es folgt schaurige Musik aus der Konserve, die schwer an das Intro zu Michael Jackson's "Ghost"-Video erinnert.

Und dann erscheint Becker in schwarzem Cowboy-Kostüm, während die Band ganz in Weiß an ihre Instrumente geht - kleiner Gag, denn in der ganzen Stadt war's tagelang andersrum auf den Plakaten zu sehen gewesen.

Der Schlagzeuger schlägt auf eines seiner elektronischen Cymbalpads und lässt damit einen programmierten Groove abspielen. Der Keyboarder gesellt sich dazu, indem er monotone Klangteppiche unterlegt. Aus dem fliegenden Raumklang entwickelt sich wummerndes Trip-Hop-artiges Bass- und Gitarrengedröhne.

Jetzt kommt Becker zum Einsatz. Er singt nicht, er spricht melodramatisch zur Musik: "Einmal werden wir fliegen." Er bewegt den Mikroständer wie Freddy Mercury und hinkt mit prophezeihendem Gesicht über die Bühne, als würde er persönlich die Apokalypse heraufbeschwören. Kaum anders würde vermutlich ein Poet unter Ecstasy aussehen. "Spacey Psycho!" ruft denn auch jemand hinten aus dem Publikum. Becker reagiert nicht, er geht voll auf in der Rolle des Death-Metal-Sängers.

"Wie Gott im Himmel, so fühl' ich mich", rezitiert Becker, und das Geschehen auf der Bühne ist höllisch laut. Die Band überzeugt weniger durch spieltechnische Größe, als vielmehr durch gekonntes Wechselspiel moderner Effekttechnik. In den ungeheueren Schwall der Drum-, Bass-, Keyboard- und Gitarrensounds bricht immer wieder Beckers gestöpselte Trompete ein. Mit Hall-Effekt entfremdet, assoziiert sie musikalisch das sehnsüchtige Großstadt-Nightlife-Feeling, das in aktuellen deutschen Krimistreifen oft die beleuchtete Siegessäule oder heulende Sirenen von Alphateam-Krankenwägen begleitet. Verhaltener Applaus nach dem ersten Song. Nach Textzeilen wie "Ihr wisst nicht, mit was ihr es zu tun habt", "Eure Geschichte interessiert mich nicht" oder "Da wo ihr grabt, da war ich schon", spiegeln die zunächst noch erwartungsvollen Gesichter schon bald Sympathie oder Ablehnung.

Becker sabbert auf die Bühne, säbelt sich mit aufbrausender Bewegung den Cowboyhut vom Kopf, taumelt hin und her. Die strähnigen, roten Haare fallen ihm wild ins schweißnasse Gesicht. Er wütet vor sich hin. Das Publikum, so scheint es, ist ihm ziemlich egal. Anwesend ist es für ihn nur in den Pausen zwischen den Songs, wenn er Anekdötchen erzählt. Zum Beispiel, wie er auf seine Songtexte gekommen ist. Oder auf das Bühnenbild. Dazu gehört eine eigentümlich schiefe, rote Straßenlaterne. "Seh'n Sie die Laterne da? Die hat ein Freund von mir gemacht, ein Künstler! Martin Kippenberger. Der hat unter anderem so Zeug erfunden, wie ,Ich geh' jetzt in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald'," erklärt Becker lachend, "er ist verstorben und der nächste Song is' für dich, Kippi!" Was Becker auch kann, ist Stand-up-Comedy im wahrsten Sinne des Wortes: "Schön, dass Sie Platz gefunden haben", ruft er da den Leuten mit den Stühlen zu, "hab' schon einen von der Technik hier gefragt, wer heute Abend zur Party kommt. Sacht der: 'Baar Dänser'. Ja, Bar-Tänzer hab' ich doch gar nicht bestellt!" Alles lacht. Becker: "Die paar Ärsche kriegen wir auch noch hoch!" Stand-up-Humor hat er also durchaus.

Während der deutschen Version von David Bowies "Heroes" schmeißt Becker unabsichtlich zwei Bierflaschen um. "Wischen Helden eigentlich Fußböden?" fragt er sich danach laut - und lässt sich - zum Wischen - ein Handtuch zuwerfen. Das Publikum kennt seinen Song aus dem Film "Frau2 sucht Happy End", der als einziger bejubelt wird, bevor die Band ihn anspielt: Beckers Hit "Engel wie wir". Becker weist darauf hin, dass er überlegt habe, aus aktuellem Anlass sein Programm umzustellen, weil er zwar kein Freund der Vereinigten Staaten sei, aber ein Liebhaber New Yorks. Er habe sich entschlossen, dennoch alles zu spielen.

"Die paar Ärsche kriegen wir auch noch hoch!" Ben Becker (Schauspieler)

Also zensiert er die kritischen Stellen nicht, wie: "Maschine brennt, wir müssen raus, Maschine brennt wir steigen aus. Ich bin doch auch nur ein Passagier." Oder: "Wir werfen Bomben über Dubai!" Vielmehr scheint sich Becker damit den ganzen Schmerz über die Absurditäten unserer Zeit musikalisch von der Seele zu schreien. Das Publikum ist nach dem letzten Stück spürbar betroffen. Nur wenige können da gleich johlend eine Zugabe verlangen - es ist fast still im Saal.

Dennoch erzählt Becker mit "Legion" als melancholischer Zugabe die Lebensgeschichte und Militärlaufbahn von Jacqueline - die verwirrenderweise auch Jacques ist. Seine Mitmusiker untermalen die kunstvolle, dreckige, aber nicht gerappte Sprache mit Hip-Hop, bevor sie noch einmal so richtig abrocken. Tosender Applaus. Jetzt sind auch die Theaterfreaks zufrieden. Der Schluss, ganz nach alter Bühnentradition: Verbeugung in einer Reihe und Abgang.

Ressort: Zisch

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