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Tierisch leben (6)

Vögel - unterhaltsamer als jede Seifenoper

Felix Held
  • Fr, 19. Juni 2015
    Panorama

BZ-SERIE "TIERISCH LEBEN" (6): Für Natalie Gastinger sind Vögel unterhaltsamer als jede Seifenoper im Fernsehen.

Zwei der acht  Nymphensittiche von Natalie Gastinger  | Foto: FELIX Held
Zwei der acht Nymphensittiche von Natalie Gastinger Foto: FELIX Held
Wer einen Vogel hat, wird schräg angeschaut. Natalie Gastinger (31) findet Menschen, die sich nur einen Vogel anschaffen, schräg. Denn Sittiche sind Gruppentiere; ein Leben als Single in einem winzigen Käfig hat die Natur nicht vorgesehen. In der freien Wildbahn fliegen sie in riesigen Schwärmen über die Savannen und durch die Eukalyptuswälder Australiens. Tausende Kilometer jedes Jahr.

Nun gibt es Menschen, die der jungen Frau recht ungalant vorwerfen, dass sie einen Vogel habe. Darüber kann sie nur müde lächeln. Natalie Gastinger hat nicht einen, sie hat 25 Vögel: 15 Wellensittiche, acht Nymphensittiche und zwei Prachtrosellas. Gastingers Liebe zu den Ziervögeln begann mit Vogel Nicki; da war sie neun. "Leider war es nur einer. Man sollte immer mindestens zwei halten." Ihr erster Vogel sei handzahm gewesen, was ihr als Kind natürlich gefallen habe. "Heute lege ich darauf keinen Wert mehr." Die Vögel sollen sich mit ihren Artgenossen beschäftigen und nicht vermenschlicht werden. Deshalb versucht sie auch gar nicht, ihren Tieren das Sprechen beizubringen. Obwohl die kleinen Papageien dies leicht lernen könnten.

Der Wellensittich gilt als pflegeleichtes, unverwüstliches und aufgewecktes Haustier. Zu Unrecht: In deutschen Haushalten finden viele einen frühen Tod – sie prallen gegen Fensterscheiben, knappern an giftigen Zimmerpflanzen, fallen ins Klo oder sterben aufgrund fehlender Bewegung oder am plötzlichen Herztod, weil eine Bohrmaschine plötzlich aufheult oder an giftigen Dämpfen von beschichteten Pfannen in der Küche.

Natalie Gastinger, die seit 22 Jahren mit den gefiederten Exoten lebt, kennt die Gefahren. Doch ihre Leidenschaft hat sie sich bis heute erhalten. Ihren Mann hat sie mit dieser Begeisterung angesteckt. 2012 kauften die beiden ein Haus in einem Ortsteil von Breisach. "Wir haben es entkernt und nach unseren Vorstellungen umgestaltet." Dabei erfüllte sich die Hausherrin einen lange gehegten Wunsch: ein eigenes Zimmer für ihre Vögel. Auch ein Grund dafür, warum manche ihrer Freunde glauben, sie habe einen Vogel. "Die sagen oft, ihr seid ja nicht ganz sauber. Ihr habt das schönste Zimmer im Haus den Vögeln gegeben. Aber das ist mir egal."

24 Quadratmeter Wohn- und Flugfläche haben die Piepmätze. Besonderer Clou: Durch zwei etwa vier Quadratmeter große Glasfenster können die Gastingers verfolgen, was ihre Mitbewohner gerade anstellen. "Es bereitet mir einfach Freude, dass ich die Vögel am Mittag oder am Abend vom Esszimmer aus beobachten kann."

Aus dem Raum tönt Zeter und Mordio, ein wildes Gekreische und Geschrei. Die Wellen- und Nymphensittiche haben ihre Freiflugstunde und nehmen das ganze Zimmer in Beschlag. Ein Pärchen Nymphensittiche sitzt auf einer Schaukel und schaut interessiert auf das Treiben. Die Nymphensittiche seien in der Haltung schwieriger als die Wellensittiche, sagt Gastinger: "Die sind dickköpfig."

Normalerweise lässt sie die größeren und kräftigeren Prachtrosellas und die Sittiche wöchentlich im Wechsel frei fliegen. "Manchmal dauert es aber zwei Wochen, bis ich die Nymphensittiche wieder in die Voliere kriege, dann müssen die Rosellas länger drinbleiben – aber sie haben ja eine große Voliere." Wenn Gastingers in Urlaub fahren, kümmern sich die Eltern um die Tiere. Dann fallen die Freiflugstunden aus. Für jede Vogelart hat Natalie Gastinger in dem Zimmer eine eigene große Voliere. Die Prachtrosellas leben in einem "Doppelhaus". Beide haben ein abgetrenntes Abteil im Käfig für sich alleine, fliegen dürfen sie zusammen frei in dem Zimmer. Der Käfig ist abgetrennt, weil das Männchen ursprünglich alleine gehalten wurde.

"Der ist irgendwann an meinem Fenster vorbeigelaufen." Natalie Gastinger brachte es nicht übers Herz, den Vogel seinem Schicksal zu überlassen. Sie fing ihn kurzerhand ein und nahm ihn bei sich auf. Das war 2008. Geschlüpft war der Vogel 1994, wie Gastinger an der Beringung erkennen konnte. "Er ist schon ein älteres Semester, aber Prachtrosellas können bis zu 25 Jahre alt werden." Weil er so lange alleine war, ist er nicht an eine Partnerin gewöhnt.

"Die habe ich für ihn besorgt, damit er nicht mehr alleine ist." Vereinsamte Vögel, das ist ihre Passion. "Wenn einer sagt, ich hab da noch einen Wellensittich, der ist ganz alleine, weil der Partner gestorben ist, nehme ich den auf – sofern Kapazitäten frei sind." Obwohl sie genügend Brutpaare hat, züchtet Gastinger bewusst nicht. "Es gibt so viele in den Tierheimen, da brauche ich nicht noch selbst welche züchten." Auch so hat sie genug mit den Tieren zu tun. Neben der täglichen Pflege ist einmal pro Woche Großputz angesagt, der dauert zwei bis drei Stunden.

Auch zu ihren Nymphensittichen kam Gastinger eher zufällig. "Ich habe mal einen auf einem Feld entdeckt" – ihrem Kennerblick bleibt kein Flattermann verborgen. Ohne Gitter und Napf überleben die Exoten nur wenige Tage. Sie frieren sich im Winter die Beine ab oder enden im Magen einer Katze. Für diesen speziellen Nymphensittich Malibu war es Rettung in höchster Not. Der Sittich war am Bein schwer verletzt, der damals nicht vogelkundige Tierarzt wollte ihn einschläfern. "Aber ich habe gesagt, den gebe ich nicht auf", sagt Natalie Gastinger. "Ich habe die Wunde jeden Tag mit Kamillentee ausgewaschen und ihn wieder hochgepäppelt, bis er wieder laufen und fliegen konnte und das Bein wieder voll befiedert war."

So kamen immer mehr Vögel hinzu. Obwohl sie heute mehr als 20 Exemplare ihr eigen nennt, kennt sie jedes Tier mit Namen. Tiramisu, Keks, Manoli, Bruno, Fienchen und Müsli sind nur einige Beispiele. "Das ist mir wichtig, die Vögel sind für mich keine anonymen Geschöpfe", stellt sie klar. "Ich habe auch noch nie einen Namen zweimal vergeben." Es fällt ihr nicht schwer, ihre Lieblinge auseinanderzuhalten. Schließlich hat jeder seinen ganz eigenen Charakter. "Der eine ist ein Morgenmuffel, der andere strotzt schon vor Energie, bevor das Licht angeht."

Und noch ganz andere Sachen sind ihr aufgefallen: "Es gibt richtige Eifersuchtsdramen, wenn ein Männchen einem anderen die Braut ausspannt. Man sieht richtig, wie der andere ein paar Tage traurig ist. Manchmal gibt es richtige Schlägereien zwischen den Jungs – das kam aber zum Glück schon lange nicht mehr vor." Wenn ein Tier sterbe, sei das nicht nur für sie traurig. "Man sieht, wie der Partner trauert. Das nimmt mich mit." Für Natalie Gastinger sind die Kapriolen ihrer Tiere interessanter als jede TV-Seifenoper.

Vorturner und

Eifersuchtsdramen

Damit die Vögel so lange wie möglich bei ihr bleiben, achtet sie auch auf die richtige Ernährung. Sie füttert Körner und viel frisches Gemüse. Früchte stehen nicht auf dem Speiseplan. "Einige der Tiere vertragen den Fruchtzucker nicht. Deswegen verzichte ich darauf." Die Tiere fressen auch nicht immer das Gleiche. "Es gibt immer einen, der den Vorturner macht." Deswegen essen ihre Nymphensittiche frisches Gemüse, was eigentlich atypisch sei. "Einer war dabei, der das mochte. Da sind die anderen auch neugierig geworden – und jetzt schmeckt’s allen", freut sie sich. Solche Schmankerln haben natürlich ihren Preis, Gastinger schätzt, dass sie im Monat an die 50 Euro für ihre Tiere ausgibt – ohne die Kosten für den Tierarzt.

Bei der Ausstattung von Käfig und Flugzimmer ist der Expertin Abwechslung wichtig. Viele Äste und Schaukeln stehen im Vogelzimmer, damit es den Tieren nicht langweilig wird. Als Einstreu verwendet sie Buchenholzgranulat. Sand vermeidet sie, bietet aber Muschelgrit an. Von Spiegeln, wie sie oft angeboten werden, hält Natalie Gastinger nichts. "Das täuscht den Tieren einen Partner vor. Sie sollen sich aber lieber mit echten Artgenossen beschäftigen." Auswahl haben sie genug.

Morgen lesen Sie: Lieb und teuer – was Haustiere kosten.

Alle Beiträge finden Sie unter       http://mehr.bz/tierisch-leben

Ressort: Panorama

Dossier: Tierisch leben

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