Account/Login

"Das Fernsehen hat seine Aufgabe verfehlt"

  • JuZ-Mitarbeiter Yannic Federer

  • Do, 04. November 2004
    Zisch

     

Junge Medienmacher trafen sich in München zu den Jugendmedientagen - und debattierten unter anderem das beängstigend nachlassende "Medienniveau".

Theoretisch ist es so: Die Medien sind die so genannte "vierte Säule der Demokratie", zuständig für die politische Willens- und Meinungsbildung, indem sie unabhängige und verlässliche Berichterstattung garantieren. Die Medien bilden. Die Medien kontrollieren und kritisieren. So zumindest will es die Theorie.

Die Realität sieht freilich etwas anders aus: Auf RTL und SAT 1 jagt eine "Gerichtsshow" die andere. PR-Beiträge erscheinen immer öfter in journalistischem Gewand: Unter anderem aus Zeit-und Geldmangel greifen die Redaktionen mehr und mehr auf PR-Material zurück. Auf den Musiksendern: lahme Uniformität. Die Songs sind kaum mehr zu unterscheiden, klingen alle gleich oder zumindest ähnlich. Und nebenbei schließen sich "Bild" und "Spiegel" zu einer "Koalition der Unwilligen" zusammen, um gegen die "staatlich verordnete Legasthenie" aufzustehen.

Sind die Medien zu niveaulosen (Werbe-)Kampagnen-Agitatoren mutiert? Sicher lassen sich nicht alle Verlagshäuser und Sendeanstalten über einen Kamm scheren. Aber die nachlassende Tendenz ist erkennbar da. Ob die daher rührt, dass die Redaktionen wegen sinkender Werbeeinnahmen und sinkender Nachfrage von Geldnot geplagt sind, darf bezweifelt werden. Okay: weniger Geld heißt weniger Personal, also insgesamt weniger Arbeitszeit, für den Einzelnen aber in der Regel mehr Überstunden, sprich weniger Qualität. Dass aber die Einnahmen zurückgehen und am Qualitäts- und Kulturprogramm gespart wird und die Zuschauer stattdessen mit Talk-Shows, Quiz-Shows und Reality-Soaps bombardiert werden, kann, so ein Punkt in der Diskussion junger Medienmacher, auch daran liegen, dass das Niveau so verflacht, dass Werber weniger werben und Nachfrager weniger nachfragen.

Die kommende Journalistengeneration gab sich diesbezüglich kritisch bei den diesjährigen Jugendmedientagen der "Jugendpresse Deutschland" - und idealistisch in Bezug auf ihre eigene Rolle als Medienmacher von morgen. "Ich denke, Medien haben neben den Politikern mit die größte Verantwortung", sagte die 19-jährige Sybille Uhlig, aus Dresden. Und: "Man muss auf jeden Fall dafür sorgen, dass die Berichterstattung objektiv bleibt." Wie das? "Klare Trennung von PR und Journalismus." Erstaunlich, denn Sybille will Journalistin mit Ausrichtung "Public Relations" werden. Auch Dominik Fronert, 15 Jahre, aus Düsseldorf, ist kritisch: "Das Fernsehen hat seine Aufgabe total verfehlt. Die Verblödung des Volkes wird immer schlimmer!" Er ist der Meinung, die Medien steuerten in eine falsche Richtung.

Ein mögliche bessere Richtung sieht Nadine Kotré aus Leipzig. Sie studiert derzeit Moderationstechnik und Medienpräsentation an der hanseatischen Akademie der Medien in Lübeck. Ihre Zukunftsperspektive: "Ich finde, es gibt zu wenig geistreiche Formate und da würde ich gern was machen."

Es finden sich aber auch weniger kritische Stimmen. Auf die Frage, ob ein Bildzeitungsredakteur genauso ein Informationslieferant sei wie ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung, antwortet der 19-jährige Michael Hartung aus Darmstadt, Redakteur beim Jugendmagazin Yeaz: "Beide sind genau dieselben Journalisten für mich und auch beide irrsinnig gut auf ihre Weise." Er ist der Meinung, man dürfe die Verantwortung der Medien "nicht zu hoch hängen". Man mag die einen für jung und idealistisch und andere schlicht für diplomatisch halten: Hoffnung gibt es auf jeden Fall. Ein bisschen zumindest. Optimistisch äußerte sich denn auch Karl Freller (CSU), bayrischer Staatssekretär im Kultusministerium: "Wenn man Leute in Container sperrt, um sie dabei zu beobachten, wie sie ihre stinkigen Socken ausziehen, dann ist das mit Sicherheit nicht die Zukunft der Medienlandschaft. Aber die Selbstkritik beginnt einzusetzen und das lässt mich hoffen!"

Der Staatssekretär verlieh bei der Auftaktveranstaltung der Jugendmedientage den ersten bayrischen Schülerzeitungspreis des Kultusministeriums. Wissenswert in diesem Zusammenhang: dass in Bayern Schülerzeitungen noch immer von der Schulleitung zensiert werden. Als einen Tag später anlässlich einer Podiumsdiskussion darüber diskutiert wird, ob Zensur zur Niveausteigerung diskutabel sei, findet taz-Redakteur Christian Füller zu Frellers Auftritt deutliche Worte: "Da darf der Oberzensor lächelnd Schülerzeitungspreise überreichen, ich hab' gedacht, ich fass' es nicht!" Christian Füller jedenfalls hätte "dem Staatssekretär vor die Füße gespuckt - oder ihm den Preis um die Ohren gehauen!"

"Ich hätte ihm den Preis um die Ohren gehauen." Christian Füller, taz-Redakteur

Das Medienniveau von oben per Zensur zu beeinflussen, ist schlichtweg undemokratisch. Die einzige Alternative wäre, Einfluss durch das Nachfrageverhalten zu nehmen. Soll heißen: der Konsument muss sein Konsumverhalten hinterfragen. "Ich muss die Hintergründe und die wirtschaftlichen Zusammenhänge erkennen", betont Medienmann Carsten Neff, "und das kann ich nur, wenn ich von Kindesbeinen an darauf vorbereitet werde." Carsten Neff ist Geschäftsführer und Chefredakteur von News & Art, einer PR-Agentur, die für Unternehmen Image-Filme produziert und sie im Fernsehen "platziert" - "aber natürlich so, dass die Zuschauer das nicht wissen." Sprich: Scheinbar journalistische Beiträge sind in Wirklichkeit fremdfinanziert, der Inhalt entsprechend gefärbt. Das Wort "PR-Journalismus" ist seiner Meinung nach ein Widerspruch an sich. Auf den Jugendmedientagen spricht Carsten Neff auch gerne von Medienerziehung - am besten schon ab der Grundschule.

Die Wirkungen und Nebenwirkungen des Niveauverlusts in den Medien sind mehr als einmal beschrieben: Banalisierung, Verdummung, unseriöse Einflussname. Moralische Appelle dagegen gab es schon zur Genüge. Eine Möglichkeit, die bleibt, ist, den ökonomischen Wurzeln der Banalisierung zu Leibe zu rücken. Denn nur was sich rechnet, kann sich behaupten. Und wenn die Finanzabteilungen der Verlage und Sendeanstalten merken, dass Niveau gut für die schwarzen Zahlen ist, wird ein Umdenken schneller geschehen, als man "Rambazamba" buchstabieren kann.

Eine Erkenntnis der Debatten auf den Jugendmedientagen war denn auch diese: Die Konsumenten bestimmen und verantworten mit, was auf dem Medienmarkt kreucht und fleucht. Sie sollten sich darüber klar werden, was sie lesen, sehen und hören wollen. Muss noch eine Staffel Big Brother sein? Noch mehr Talk, noch mehr Gerichtsshow? Darf auch mal was jenseits der Top 50 im Radio dudeln? Wir entscheiden!


http://www.jugendmedientage.de

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 04. November 2004: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel