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Durchgangs-Paradies zum morgendlichen Auftanken

  • Di, 26. Juni 2001
    Zisch

     

Wenn der Schulweg mitten durch eine Seenlandschaft führt, fängt der tristeste Alltag ganz von alleine mit einem Vergnügen an.

Der Wecker klingelt, eine träge Hand bringt ihn zur Ruhe. Noch fünf Minuten. Aber dann lässt es sich nicht länger verhindern: aufstehen, duschen, frühstücken, noch schnell das Zeug packen und den täglichen Weg in den Alltag antreten. Die Ärztin in die Praxis, der Frisör in den Salon, der Verkäufer in den Laden und wir Schüler eben zur Schule. Wirklich kein Grund, übermäßig gut gelaunt zu sein.

Aber um dem Alltag noch ein kleines bisschen zu entrinnen, gönne ich mir jeden Tag etwas kleines, normales und doch ganz besonderes: Noch müde und doch schon gehetzt, rase ich aus dem Haus, schwinge mich auf's Rad, schlängel' mir den Weg durch die Autos, die es natürlich mindestens genauso eilig haben. Dann aber - endlich - abbiegen in die kühle Unterführungen und schon in der Kurve, die wieder ins Freie führt, bin ich meinem privaten Durchgangs-Paradies: dem Flückigersee. Der süße Duft von frisch erblühtem Jasmin benebelt die müden Sinne. Und überall blüht es farbenfroh entlang des Wegs. Von rechts unten höre ich das freudige Quaken einer Gruppe von Fröschen, die wie unsichtbar im hochgewachsenen, noch taubenetzten Klee hocken. Und fast hätte ich vor lauter Frosch-Spähen den Hund gestreift, der mit drei aufgeregt bellenden Artgenossen auf der frisch gemähten Wiese herumtollt. Kein Wunder: der Geruch von saftigem Gras muss einfach belebend wirken.

So scheint das auch der demonstrativ sportlich gekleidete Frühaufsteher zu empfinden, der sich da inmitten des Geschehens mit Dehnübungen auf seinen bevorstehenden Jogginglauf vorbereitet. Er blinzelt dabei in die gemächlich aufsteigende Sonne, der er sich irgendwie entgegen zu strecken und zu dehnen scheint. Noch ist es nämlich ziemlich klamm und erst allmählich erwärmt sich die See-Umgebung. Ganz zuletzt natürlich erst auf dem Radweg, der im Schatten einer Kastanienallee liegt.

In der morgendlichen Oase kurz mal den Alltag vergessen

Etwas abseits, nahe des Wassers,erwacht gerade eine Ente, während die übrigen paar noch schlaftrunken den Kopf ganz tief im Gefieder stecken haben. Erholt dagegen gleitet ein stolzes Schwanenpaar bereits über die noch unberührte Oberfläche des Sees, der dort so idyllisch im Grünen liegt. Gut erkennbar spiegeln sich am Rand die zartgrünen Bäume und das türkisfarbene Bürgerhaus. Das Wasser, normalerweise moorgrün, geht heute ins Bläuliche - wie der fast wolkenlose Himmel. Und blau ist auch die Brücke, die noch unbegangen auf dem Wasser liegt, mit ihren bojenartigen, schwimmenden Trägern. Auch die Vögel scheinen an diesem Sommermorgen bester Laune: Munter trällern sie ihre Liedchen, kurzzeitig von der Ente unterbrochen, die plötzlich lautstark zu schnattern beginnt.

Hinter mir schnauft es. Eine Joggerin setzt gerade an, mich zu überholen. Schnell folge ich ihr, denn eigentlich habe ich es ja erst recht eilig - immerhin bin ich auf dem Weg zur Schule. Aber das ist ja gerade der Genuss, dass ich in dieser morgendlichen Oase für kurze Zeit tatsächlich den vor mir liegenden Alltag noch ein Mal ganz vergessen kann.

Nora Müller

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 26. Juni 2001: PDF-Version herunterladen

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