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Schwere Hagelschauer

Ein extremes Unwetter pflügt sich durch Teile Südbadens - zwei Tornados bestätigt

Andreas Frey
  • Do, 14. Mai 2015, 19:45 Uhr
    Südwest

Einmal quer durch Südbaden, von Breisach bis zum Schwarzwald, ist es gerauscht: Ein extremes Unwetter mit schweren Hagelschauern richtete Schäden an Häusern, Autos und Pflanzen an. An mindestens zwei Stellen gab es Wirbelstürme.

Mammalus-Wolken über dem Campingplatz am Schluchsee.  | Foto: Philippe Thines
Mammalus-Wolken über dem Campingplatz am Schluchsee. Foto: Philippe Thines
Der Himmel über Südbaden sah am Mittwochabend aus wie im Kino. Aus Frankreich zogen Raumschiffe auf, die sehr an die in "Independence Day" erinnerten, jenem Science-Fiction-Film aus den neunziger Jahren. Das Mutterschiff überquerte bei Breisach den Rhein und stürmte direkt auf Freiburg zu. Um Viertel vor neun erreichte es die Stadt. Ein kurzes Grummeln noch, dann nahm es Freiburg und Umgebung mit Eisklumpen unter Beschuss.

Das Mutterschiff war natürlich kein von Außerirdischen gelenktes Flugobjekt aus Hollywood, sondern ein gewaltiges Unwetter, das da am späten Abend über Südbaden zog. Meteorologen sprechen bei solchen düsteren Wolkenformationen von Superzellen. Die rotieren so stark, dass sie sogar einen Tornado zur Erde schicken können.

"Es spricht sehr viel dafür, dass es ein Tornado war" Meteorologe Clemens Steiner
Zwei solcher Ungetüme haben sich denn auch tatsächlich in Südbaden ausgetobt, wie der Meteorologe und Tornadoexperte Thomas Sävert vom privaten Wetterdienst Meteomedia am Donnerstag der BZ bestätigte. Ein Exemplar wütete um halb zehn bei Bonndorf, wenige Minuten später pflügte ein zweites Exemplar durch Blumberg, Tengen und Welschingen. Dort zog der Tornado eine zehn Kilometer lange Schneise. Dabei handelte es sich nach Auskunft von Sävert um einen Wolkenrüssel der Stärke 2 auf der Fujita-Skala; die Windgeschwindigkeit im Inneren des Wetterphänomens muss also zwischen 185 und 255 Kilometern pro Stunde gelegen haben.

"Es spricht sehr viel dafür, dass es ein Tornado war", bestätigt auch der Meteorologe Clemens Steiner vom Deutschen Wetterdienst in Stuttgart. Um sicherzugehen, dass das, was Bäume und Strommasten umknickt, auch wirklich ein Tornado war und nicht einfach eine Böe, ist Detektivarbeit gefragt. Der sicherste Beleg ist immer ein Schnappschuss von dem Übeltäter, aber den gibt es in den seltensten Fällen.

Deshalb schauen sich Meteorologen Fotos an, inspizieren die Schäden, werten Radarbilder aus. Die Bilder vom ruinierten Ganterhof in Blumberg-Fützen scheinen auf den ersten Blick eindeutig. "Der Tornado lässt ein Haus regelrecht aufplatzen", sagt Steiner. Allerdings gibt es Restzweifel. "Normalerweise müssten die Dachziegel kreisrund um das Haus herum liegen", sagt Steiner, "das tun sie in diesem Fall jedoch nicht."

Eindeutig ist die Situation auf jeden Fall im Kreis Augsburg. Dort lassen die Schäden vom Mittwochabend auf einen Tornado der Stärke F2 bis F3 (Windspitzen bei 334 Kilometer pro Stunde) deuten. Der Wirbel riss Mauern um, hob Autos an und verfrachtete ein Hausdach auf ein naheliegendes Feld. Bilder, wie man sie eigentlich nur aus Texas oder Oklahoma kennt.

Ein seltenes, aber nicht außergewöhnliches Ereignis

Doch auch Deutschland ist Tornadoland. Jedes Jahr toben sich hier 30 bis 60 solcher Wolkenrüssel aus. Sie sind seltener und meist schwächer als in Amerika, aber auch über Deutschland sind schon verheerende Tornados gezogen. In diesem Jahr sind es nach Zählung von Thomas Sävert bereits 14 – und dabei ist erst Mai. Erst letzte Woche pflügte ein F3-Wirbel durch Bützow in Mecklenburg-Vorpommern und zerstörte die halbe Stadt.

Dass allerdings infolge des Klimawandels mehr Tornados in Deutschland auftreten, ist sehr fraglich. Experten wie Sävert, der seit Jahren ein Archiv über verdächtige Himmelserscheinungen pflegt http://www.tornadoliste.de führt dies auf einen Beobachtungseffekt zurück. Schließlich ist heute beinahe jeder mit einer guten Handykamera ausgerüstet.

Die Zutaten für ein heftiges Unwetter über Südbaden liefert die Atmosphäre seit Jahrhunderten auch ohne Erderwärmung. So muss die Temperatur in der Höhe und von Norden nach Süden stark abnehmen, muss die Luft sehr feucht sein und schnell gehoben werden. Damit ein Tornado entsteht, muss sich die Windrichtung in der Höhe zudem stark ändern.

Hagel entsteht, wenn sich viele Eisteilchen aneinander heften. Die Hagelkörner flitzen durch die Wolke, werden erst gehoben und fallen dann wieder zur Erde. Je häufiger sich dieser Vorgang wiederholt, desto größer wird der Hagel. Die Exemplare, die am Mittwoch rund um Freiburg mit einem Affenzahn zu Boden stürzten, erreichten Golfballgröße. "Es war schon ein ziemlich seltenes, aber nicht außergewöhnliches Hagel-Ereignis", lautet das Fazit von Thomas Sävert. Clemens Steiner findet es überraschend, dass ein solches Unwetter bereits im Mai geschah.

Die Gewittergefahr ist vorerst gebannt. Allerdings soll Starkregen aufziehen, 30 bis 50 Liter pro Quadratmeter könnten fallen. Nicht schön, aber ungefährlich.

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Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 15. Mai 2015: PDF-Version herunterladen

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