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Ein Leben ohne Fernseher

EIN LEBEN OHNE FERNSEHER: Langeweile ist anderswo

  • Do, 15. August 2002
    Zisch

     

"Nein, ich habe keinen Fernseher." Ich ernte erheiterte, spöttische, erstaunte Blicke und fast kann ich ihre Gedanken lesen: "Wo lebt die denn? Hinterm Mond?" oder "Kann die sich denn keinen leisten?" oder "Steinzeitmensch!" oder "Ist die zurück geblieben?!" Nein, bin ich nicht. Ich würde eher sagen, fortschrittlich. Früher war ein Fernseher im Haushalt etwas Besonderes, heute ist es ungewöhnlich, wenn keiner vorhanden ist. Ein Leben ohne Glotze ist für viele Jugendliche ein Albtraum, unvorstellbar: "Ich würde mich langweilen ohne Fernseher, was sollte ich die ganze Zeit tun?" Ich langweile mich nicht. Im Gegenteil. Die meisten Jugendlichen legen sich nach der Schule aufs Sofa, ein Druck auf die Fernbedienung und der Stress und die Arbeit werden von "Big Brother" fortgespült. Wie angenehm, sich einfach berieseln zu lassen, Stunde für Stunde, Tag für Tag.

Ich dagegen musste lernen, mich anders zu beschäftigen. Zum Beispiel mit meinem Pferd, wofür ich oft verspottet werde. Wer sich in dieser Medienwelt nicht anpasst oder nicht die nötigen Mittel dazu hat, gerät in eine schwierige Situation und geht ein hohes Risiko ein: das Risiko, Außenseiter zu werden. Individuell sein ist so gesehen schwierig. Wie einfach ist es dagegen, den Weg der Masse zu gehen. Man passt sich an, lässt sich mitziehen. Ohne den ewigen, ermüdenden Kampf des Andersseins.

Aber die Welt braucht Individualisten. Sie braucht neue Ideen und Perspektiven, um sich weiter zu entwickeln, zu forschen und zu entdecken, zu lernen und zu verstehen. Viele große Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler waren Außenseiter, die verbissen gegen die primitive, verbohrte, einseitige Ansicht der Masse ankämpften, entschlossen ihren Weg zu gehen. Auch wenn er mit Steinen der Einsamkeit gepflastert war. Die meisten schafften es nicht. Der Mensch ist eben ein Rudeltier, das nicht ohne die Anerkennung seiner Artgenossen leben kann. Zum Glück kann man sich die auch auf andere Weise als übers Fernsehen verdienen.

Antonia Kurz

Ressort: Zisch

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