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Endlich mal nach Bratislava reisen

  • Johannes Evers

  • Do, 05. September 2002
    Zisch

     

Wer mit dem Interrail-Ticket Zugfahrten kreuz und quer durch Europa wagt, erlebt genauso Abenteuer wie Weltreisende.

Es kann gar nicht weit genug weg sein: Jugendliche zieht es einfach in die Ferne. Je weiter, desto besser. Südamerika, Australien und Thailand sind da fast schon "Standard". Dabei kann man auch in Europa gut backpacken und Aufregendes erleben. Seit drei Jahrzehnten zum Beispiel als Interrail-Reisender. Mal in Bangkok herumspaziert? Das ist so exotisch eben gar nicht mehr. Aber wer ist denn schon mal in Bratislava essen gegangen?

Der 21-jährige Ignacio aus Spanien travelt per Zug mit seinen Freunden schon seit fast einem Monat als Interrailer durch Europa. "Wir haben unsere Tour erst zwei Wochen vorher geplant", erzählt er, "aber natürlich passieren viele Überraschungen, die man gar nicht einplanen kann." So sind die drei auf ihrer Reise eben auch zufällig durch die Slowakei gekommen und haben dabei gelernt, dass Bratislava die - sehr schöne - Hauptstadt ist.

Interrail ist die ideale Fahrkarte für junge Leute, die vor allem viele Kilometer quer durch Europa zurücklegen wollen. In gerade mal einem Monat passt da so einiges auf den "Speiseplan": Amsterdam, Paris und Barcelona, zum Beispiel. Dass die vielen Bahnkilometer nicht der blanke Luxus sind, weiß jeder, der es mal mitgemacht hat: Die Züge sind hochsommerlich heiß und randvoll mit sperrigen Backpackern. Tonnenweise Gepäck stapelt sich überall auf den Gängen und zur Not schläft man auch mal im Gepäcknetz. Mühsal auf engstem Raum: da lernt man sich kennen, oft genug auf der Reise zum selben Ziel.

Amsterdam Hauptbahnhof. Ein Rucksack nach dem anderen purzelt auf den Bahnsteig und eine Karawane zieht in die überfüllte Innenstadt, auf der Suche nach einer billigen Bleibe. Aussichtslos. Man hätte gut daran getan, vorher zu reservieren, aber Interrail lebt vom spontanen Entschluss. Also alle Hostels abgeklappert, dreimal im Rotlichtviertel verlaufen, endlich im Coffeeshop hängen geblieben und schon löst sich das Problem von selbst: die Übernachtung bei Freunden, die man zufällig trifft, ist umsonst, wenn auch eng. Aber Backpacker rücken gerne zusammen und teilen Spaghetti und Schicksal. Nach drei Tagen geht's weiter. Interrailer sind immer auf Achse - sonst lohnt sich das Ticket nicht.

Im Nachtzug nach Paris träumt man noch von den kleinen Brücken über die Grachten, auf denen sich die Touristen zum Fototermin sammeln und auf denen den freakigeren Reisenden hingenuschelt "Marihuanahaschischextasy" angeboten wird. Kaum ist Holland ausgeträumt, sitzt man schon in Frankreichs Hauptstadt - und erleidet den völligen Kulturschock. Kommunikation war nämlich in Amsterdam überhaupt kein Problem - die meisten können Deutsch und jeder spricht Englisch. In Paris aber heißt es, das tief vergrabene Schulfranzösisch wieder auspacken. Nicht, dass die Franzosen kein Englisch verstünden, aber geantwortet wird grundsätzlich auf Französisch. Und ausgesprochen französisch ist auch die hohe Dosis Geschichte und Kultur, die einen hier fast erschlägt, wo man doch gerade noch im liberalen Amsterdam mit Jugendlichen aus aller Welt zusammen war und Multikulti-Spaß hatte.

"Natürlich passieren viele Überraschungen, die man nicht planen kann." Ignacio, ein Interrailer

In Paris verliert sich die kleine Interrailgemeinschaft irgendwie. Aber wer darüber vergisst, zu welchem Zweck er unterwegs ist, erinnert sich sofort daran, wenn die Reise weiter geht. Allein, den Rucksack auf den Schultern, trifft man schon am Gare de l'Ouest wieder Gleichgesinnte. Es geht in den Süden, zur letzten Station der diesjährigen Interrailreise. Die besten Informationen bekommt man gleich am Bahnhof, von denen, die gerade aus Barcelona angereist kommen. Aber weil jeder seine eigenen Erfahrungen machen will, ist nicht jeder Tipp auch wirklich hilfreich. Und oft genug hat man vor Ort dann mit Leuten zu tun, die sich die Naivität der Interrailer zunutze machen. Sie suchen ein Zimmer? Ich habe schöne kleine Zimmer, 16 Euro, ganz nah, nur drei Stationen. Leider bietet der Gute einem eine Besenkammer an. Und die Suche beginnt von vorne.

Da denkt man dann vielleicht doch mal sehnsüchtig an einen Pauschalurlaub. Aber das verfliegt, wenn man dann nachts mit Tausenden von Leuten aus aller Welt in Barcelona auf der Plaza Espanya sitzt und den riesigen Wasserspielen zuschaut und sich später bis zum Morgen auf einem Festival an traditioneller spanischer Musik berauscht. Solche Eindrücke haben Interrailer nämlich mit in ihrem vollen Gepäck, wenn sie die Rückreise antreten. Und die Rückreise ist nicht anders als der Auftakt vor einem Monat: eine lange, lange Zugfahrt.

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 05. September 2002: PDF-Version herunterladen

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