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Eine Zeit, die ihn fürs Leben prägte

Frank Zimmermann
  • Di, 20. Oktober 2015
    Freiburg

LEUTE IN DER STADT: Prälat Alfons Ruf war als 19-Jähriger zugleich Kriegsgefangener und Seminarist in einem französischen Lager.

Alfons Ruf traf Franz Stock in Kriegsgefangenschaft.  | Foto: t. kunz/archiv
Alfons Ruf traf Franz Stock in Kriegsgefangenschaft. Foto: t. kunz/archiv
Im Collegium Borromaeum an der Schoferstraße widmet sich derzeit eine Ausstellung dem Leben des Priesters Franz Stock (1904-1948), der in Frankreich verehrt wird und dessen Seligsprechung 2009 initiiert wurde. In der NS-Zeit stand Stock, ursprünglich Seelsorger der Deutschen Gemeinde in Paris, im besetzten Frankreich französischen Gefangenen bei – darunter vielen Mitgliedern der Résistance, die auf dem Mont Valérien nahe Paris von deutschen Soldaten hingerichtet wurden. 2000 zum Tode Verurteilte hat Abbé Franz Stock seelsorgerlich begleitet, viele von ihnen bis unmittelbar an den Ort ihrer Erschießung. "Das war eine ungeheure Aufgabe und eine schreckliche Situation, die ihn sehr gefordert hat", sagt der Freiburger Prälat Alfons Ruf.

Nach dem Krieg war Stock Leiter des "Stacheldrahtseminars" in Le Coudray bei Chartres (so genannt wegen des Zauns, der das Seminar als Teil eines riesigen Gefangenenlagers mit bis zu 25 000 Inhaftierten umgab). Im dortigen Seminar rund 90 Kilometer südwestlich von Paris studierten Hunderte deutscher Kriegsgefangener Theologie. Alfons Ruf war einer von ihnen. Der 1927 geborene Geistliche war im Juni 1946 allerdings nicht als Theologiestudent nach Le Coudray gekommen, sondern als einer von 180 jungen Kriegsgefangenen, die im Lager ihr Abitur machen sollten. "Ich war damals an einem theologischen Beruf interessiert, aber ich hatte mich noch nicht entschieden." Mit Alfons Ruf waren 500 Seminaristen in Le Coudray, insgesamt wurden im "Stacheldrahtseminar", solange es existierte, 755 gezählt; 77 kamen aus der Erzdiözese Freiburg.

Auf einem Foto in der Ausstellung erkennt sich Prälat Alfons Ruf wieder: "Das mit den Locken bin ich", sagt der 88-Jährige und zeigt auf eine Gruppe junger Menschen vor einer Reihe von Stockbetten. Die Aufnahme stammt von 1946. In einem Bett ganz oben habe er mit all seinen Habseligkeiten geschlafen. Die Zeit in Le Coudray habe ihn "fundamental geprägt". Alle 500 Seminaristen hätten in einer ehemaligen Werkhalle für militärische Geräte geschlafen; der abgetrennte Speisesaal habe zugleich als Vorlesungsraum gedient. "Im Winter waren die Zustände katastrophal, eine Heizung gab es nicht", erinnert sich Alfons Ruf.

Er kam als 19-jähriger Kriegsgefangener nach Le Coudray und sollte im Seminar sein Abitur nachmachen. Die Bedingungen im "Stacheldrahtseminar" seien im Vergleich zur amerikanischen Kriegsgefangenschaft, als Ruf in einem Lager bei Remagen und Andernach ein halbes Jahr lang bei Wind und Wetter unter freiem Himmel schlafen musste, geradezu "paradiesisch" gewesen seien. Der Caritasverband Freiburg habe viele Hilfslieferungen nach Le Coudray geschickt. Im Dezember 1946 verließ Alfons Ruf das Seminar wieder, ein halbes Jahr später, im Juni 1947, wurde das "Stacheldrahtseminar" aufgelöst. Abbé Stock starb im Februar 1948. Alfons Ruf studierte nach dem Abitur an einem Gymnasium im badischen Bühl Theologie an der Universität Freiburg und am privaten Institut Catholique in Paris. Seit 1958 lebt er in Freiburg und war hier als Geistlicher mit vielen verschiedenen Aufgaben betraut.

Prälat Alfons Ruf berichtet heute, 19 Uhr, im Collegium Borromaeum (CB), Schoferstraße 1, über seine Zeit im "Stacheldrahtseminar", Margret Dennemark über Franz Stock. Die Ausstellung im CB ist bis Donnerstag täglich von 9 bis 17 Uhr zu sehen; Finissage mit Gottesdienst in der Seminarkirche des CB am Sonntag, 25. Oktober, 10.30 Uhr, mit Prälat Alfons Ruf.

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 20. Oktober 2015: PDF-Version herunterladen

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