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Hau weg, das Geld!

  • Christoph Sprich

  • Fr, 20. April 2001
    Zisch

     

Wie man mit Aktien arm wird / Ein Erfahrungsbericht.

Wer sein Geld nicht in Aktien investiert, muss dumm sein. So kam das einem zumindest im Frühjahr letzten Jahres vor. Täglich konnte man den Kursen beim Wachsen zuschauen. Wer konnte in Anbetracht dieser Gewinnchancen noch mit einem Prozent Zinsen fürs Sparbuch zufrieden sein? Ich nicht. Anstatt zuzuschauen, wie andere Leute Geld verdienen, beschloss ich selbst mitzumachen.

Schien ja auch gar nicht schwer zu sein, Gewinn zu machen, wenn man ein paar Regeln befolgt. Die Anlegerzeitschriften raten: Aktien selbst auszuwählen, ist nicht so leicht. Besser man investiert in Investmentfonds, denn die werden von Profis betreut und streuen das Risiko, weil sie in viele Aktien investieren. Investmentfonds also. Aber was für welche? Ich ging zu meinem Bankberater und ließ mich beraten. Der empfahl Technologiewerte. Stünden zur Zeit hoch im Kurs, sagte der. Aha. Stimmt, hatte ich schon gelesen. Technologiewerte also. Etwas risikoreich zwar, aber es war ja ein Fonds. Auf lange Sicht machen die immer Gewinn. Insgeheim setzte ich allerdings darauf, das er auch kurzfristig Gewinn einbringen würde.

Das war der Punkt, an dem sich die Realität zum ersten Mal von der Theorie abhob: Die Börse ist nicht berechenbar, der Fonds dümpelte dumm herum. Ich gab mich trotzdem nicht geschlagen. Angesichts der bescheidenen Entwicklung meiner Anlage suchte ich aussichtsreichere Werte. In einem Anlegermagazin las ich: "Diversifikation ist für den Erfolg unverzichtbar." Soll heißen: Man holt sich Fonds aus verschiedensten Branchen und Ländern, um das Risiko einzugrenzen. Aha. Gleich mal zur Bank, um das Depot zu diversifizieren. Fonds mit deutschen Aktien, Fonds mit europäischen Aktien, Fonds mit Pharma-Aktien, Fonds mit internationalen Aktien. Diversifizierter geht's nicht. Jetzt müsste es laufen, dachte ich. Es lief nicht. Die Finanzmärkte hatten sich entschlossen, meine Diversifikation nicht ernst zu nehmen. Stattdessen begaben sich alle Marktsegmente auf Talfahrt. Es wurde Zeit für eine Fehleranalyse.


Die Finanzmärkte hatten sich entschlossen, meine Diversifikation nicht ernst zu nehmen.

Ich glaubte, den Fehler gefunden zu haben - nein, nicht im Aktienmarkt, sondern, klar, bei mir. Zulange hatte ich auf die Fonds meiner Hausbank vertraut. Wie dilettantisch. Denn, so lehren die Anlegerblätter, die mittlerweile meine Pflichtlektüre waren, das Geheimnis des Erfolges liegt darin, den besten Fonds auszuwählen. Der muss nicht von der Hausbank sein. Für mich bedeutete das: Gleich ein Depot bei einer Direktbank eröffnen. Die bietet zwar keine Filialen und keine Beratung an, aber dafür hat man die volle Auswahl an Fonds. Das ist es! Endlich hatte ich die Top-Performer, die besten unter den Fonds zur Auswahl. So ein Stern am Himmel der Finanzwelt macht in einem Jahr schon mal 86 Prozent Gewinn. Fantastisch! Aus 1000 Mark binnen eines Jahres 1860 Mark machen. Und das ohne einen Finger dafür bewegt zu haben. Wer kann da schon widerstehen?

So begann ich, mittlerweile ganz Profi, mein neues Depot zu diversifizieren. Ich studierte stundenlang Listen, auf denen die Fonds samt ihrer Performance, also ihres bisherigen Wertzuwachses, verzeichnet waren. Das Beste vom Besten wählte ich für meine Sammlung aus. Solides aus Europa und der Welt, für die Gewinnmaximierung einen etwas spekulativeren Biotech-Fonds. Nun war ich perfekt positioniert. Ich musste nur noch abwarten. Und tatsächlich stellte sich etwas ein, das ich bisher nicht hatte - Erfolg. Während sich alle anderen Fonds langsam, aber sicher auf den Weg nach unten machten, begann der Biotech-Fonds zu steigen. Eineinhalb Monate lang war ich im siebten Börsen-Himmel. Die Diversifikation hatte sich ausgezahlt. In dieser Zeit erwirtschaftete die Biotechnologie einen Gewinn von über 40 Prozent. Ein fantastisches Ergebnis. Ich war quasi reich! Mittlerweile um einiges an Erfahrung reicher, beschloss ich, den Fonds zu verkaufen, sobald er eine bestimmte Marke dauerhaft überschritten hatte. Das war eine kluge Entscheidung. Leider kam sie einen, genau einen einzigen Tag zu spät. Der Biotechnologiemarkt war über Nacht zusammengebrochen.

Mittlerweile bin ich seit einem knappen Jahr am Aktienmarkt unterwegs. Meine Bilanz: 35 Prozent Minus. Vielleicht auch etwas mehr. Aber man darf die fantastischen Rendite-Chancen nicht übersehen. Schließlich, so lehren die Anlegerzeitschriften, fährt man mit Aktien die besten Gewinne langfristig ein. Geduld ist sehr wichtig. Irgendwann wenden sich die Märkte wieder. Irgendwann werde ich über die popeligen Sparbuchbesitzer und ihre lächerlichen Zinsen lachen. Irgendwann, nur wann? Mein Sparbuch habe ich vorsichtshalber noch nicht aufgelöst.

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 20. April 2001: PDF-Version herunterladen

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