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Holzhäuschen für die Streuner

  • Mi, 08. August 2018
    Panorama

WELTKATZENTAG I: In Istanbul leben so viele streunende Katzen wie fast nirgends sonst / Private Initiativen kümmern sich um sie.

Katzenschützerin Hillary Sable mit einem ihrer Schützlinge   | Foto: Akyol
Katzenschützerin Hillary Sable mit einem ihrer Schützlinge Foto: Akyol

ISTANBUL. In kaum einer Stadt auf der Welt leben so viele wilde Katzen wie in Istanbul. Für die Bewohner hat das Vorteile – so fressen die Streuner große Mengen an Mäusen und Ratten. Ein leichtes Leben haben sie dennoch nicht. Einige private Initiativen haben sich ihrem Schicksal angenommen. Eine Geschichte anlässlich des heutigen Weltkatzentags.

Erst kürzlich sorgte der türkische Dokumentarfilm "Kedi" (Katze) in der Stadt für Furore. Mit rührenden Bildern erzählt Regisseurin Ceyda Torun von den Streunern in Istanbul und lässt die Menschen über sie erzählen, die sich mit Hingabe um ihre tierischen Nachbarn kümmern.

Wenn Hilary Sable auf den Film angesprochen wird, dann muss sie sich, so sagt sie, "fast übergeben". Der Film suggeriere, dass sich alle Istanbuler um Katzen kümmern. "Bullshit", sagt die britische Tierschützerin. "Der Film zeigt ein schönes Postkartenmotiv und leugnet all die hässlichen Umstände, unter denen die Tiere hier zu leiden haben." Denn tatsächlich würden viele Tiere misshandelt oder getötet. Und weil die Stadt mit all den Straßenkatzen nicht fertig werde, würden viele im Wald ausgesetzt.

Die Londonerin fällt auf: buntes Haar, schriller Schmuck mit Katzen-Motiven, lautes Lachen und entschlossener Schritt. Sable unterbricht das Gespräch immer wieder, um vor die Tür des Cafés zu gehen und mit einer Katze zu spielen. Wenn sie durch die Straßen von Cihangir spaziert, einem Viertel auf der europäischen Seite der Stadt, dann folgen ihr immer mehrere Katzen. Seit 2005 lebt die 63 Jahre alte Englischlehrerin am Bosporus, 2011 gründete sie ihre Gruppe "Cihangir Cool for Cats". Ihre Aktionen werden durch Spenden von Privatleuten finanziert. Sie verteilt Katzenfutter in ihrem Kiez, fängt Tiere ein, um sie kastrieren oder impfen zu lassen, und versucht für die Heimatlosen ein Zuhause zu finden.

Es ist ein zwiespältiges Verhältnis, das die Istanbuler zu den Straßenkatzen haben. Man sieht sie überall, ob in den wohlhabenden Vierteln, der historischen Altstadt oder in den illegalen Siedlungen, den Gecekondular – eingerollte mehrfarbige Pelzkugeln, die sich sanft heben und senken, schnurrend durch die Gassen ziehen oder sich fauchend auf dem Trottoir streiten. Die Hagia Sophia hat sogar eigene Hauskatzen.

Hunderttausende herrenlose Tiere leben in der 15-Millionen-Stadt – so viele wie vermutlich in keiner anderen europäischen Metropole. Zwar lassen die Menschen die Tiere nicht in ihre Wohnungen, doch oft kümmern sie sich um die streunenden Mäusefänger in ihrer Nachbarschaft. Überall in der Stadt verteilt stehen mehrstöckige kleine Holzhäuschen, von den kommunalen Verwaltungen zur Verfügung gestellt. In diesen liebevoll angestrichenen Behausungen finden die Tiere Unterschlupf, davor stellen die Anwohner Näpfe mit frischem Wasser oder mit Trockenfutter. Als es im Januar 2016 in Istanbul heftig schneite, öffnete ein Imam die Türen seiner Moschee für frierende Straßenkatzen.

Weil solche Aktionen aber nicht ausreichen, gibt es seit Ende letzten Jahres in Cihangir einen Katzenpark, eingerichtet von der Bezirksverwaltung. In einem Ein-Meter-Häuschen finden Dutzende Tiere Zuflucht. Sibel Benekli steht dort geduckt zwischen Dutzenden Tieren, verteilt gespendetes Katzenfutter, säubert die Tiere und achtet darauf, dass die Kranken von einem Arzt möglichst kostenlos behandelt werden. Viele einäugige Katzen hocken in dieser Sicherheitszone. Ihre Augenkrankheiten wurden nicht behandelt, so dass sie eines verloren haben. Andere humpeln oder haben ein Bein verloren.

Der bekannteste Kater der Stadt ist Tombili (Pummelchen). Das dicke Tier lag oft auf den Bordsteinen im alternativen Viertel Kadiköy, alle Viere von sich ausgestreckt. Ein Foto von ihm, wie auf einer Treppenstufe liegend die Menschen um sich herum beobachtete, wurde zum Internetphänomen. So war die Trauer groß, als Tombili im August 2016 verendete. Auf Wunsch der Anwohner wurde ihm zu Ehren eine Statue gegossen.

Unzählige kleine Einzelinitiativen wie auch der Verein "Kirik Kuyruk" (abgeknickter Schwanz) kümmern sich um den Schutz der Tiere. Über dessen Internetseite können sich Katzenfreunde vernetzen, sich gegenseitig unterstützen. Wer etwa eine Straßenkatze in die Kurzzeitpflege aufgenommen hat, kann hier nach einer neuen Familie schauen. Wer ein Straßentier retten will, kann sich einen Fangkäfig ausleihen.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 08. August 2018: PDF-Version herunterladen

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