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"Jetzt" ist tot, "Bravo" lebt. Herr Professor Rager, warum?

  • Do, 25. Juli 2002
    Zisch

     

BZ-INTERVIEW: Der Medienforscher Günther Rager über den Untergang des "jetzt"-Magazins und die Bedeutung von Jugendseiten in der Zeitung.

Warum muss sich eine Zeitung ein Jugendforum halten und was passiert, wenn sie es abschafft? Wieso schaffen es Hefte wie Bravo, Yam und Young Miss erfolgreich zu überleben - nicht aber "jetzt"? Und: Was sollen wir nun lesen? Martin Müller sprach mit Günther Rager, Medienforscher aus Dortmund.

BZ: "Jetzt" ist tot, "Bravo" lebt. Herr Rager, warum?
Rager: Das ist auf jeden Fall eine Frage, die mich auch beschäftigt. Auf wissenschaftlicher Basis gibt es darauf keine Antwort. Vermutlich ist die Zielgruppe für Bravo einfach groß genug. Das Marketing für das Heft ist wirklich geschickt und so kann Bravo ständig in der Auflage zulegen. Das hängt auch mit den Themen zusammen, die dort behandelt werden. Offenbar trifft Bravo den Nutzwert der Jugendlichen sehr gut.

BZ : Ist die Einstellung von "jetzt" ein Rückschlag für die gesamte Zeitungsbranche bei der Gewinnung junger Leserschaft?
Rager: Das glaube ich nicht. Jetzt war ein Heft für großstädtische Jugendliche und schon speziell. Ich hoffe aber, dass die Verlage langfristig denken, bevor sie sich den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Und weiter Inhalte für die junge Zielgruppe anbieten. Jetzt war ganz klar eine Investition in die Zukunft.

BZ: "jetzt" war der Gewinner zahlloser Auszeichnungen und international anerkannt. Muss nicht in Zeiten von Krise und Rezession gerade in Qualität investiert werden?
Rager: Auf jeden Fall. jetzt war ähnlich wie die Wochenzeitung Die Woche hochdekoriert, hat aber offenbar das Geld, was die Qualität gekostet hat, nicht eingebracht. Im Moment gibt es aber wenig Anzeichen, dass die Verlage im Allgemeinen an Qualität sparen.

BZ: Das Internetportal von "jetzt" soll fortgeführt werden. Glauben Marketingstrategen die begehrte junge Zielgruppe nur noch am Bildschirm zu erreichen?
Rager: Ich glaube nicht, dass man nur über den Bildschirm die Jugendlichen wieder zur Zeitung kriegt. Gerade die Zielgruppe von jetzt wird wahrscheinlich nicht ausschließlich das Internet nutzen und über das Portal glücklich werden.

BZ: Die Krise in der Zeitungslandschaft ist vor allem durch die wegbrechenden Anzeigenerlöse bedingt. Warum wird nun die relativ krisenresistente und konsumfreudige junge Zielgruppe zum Kostenfaktor?
Rager: Bei den 16- bis 19-Jährigen erreicht man mit der Tageszeitung ungefähr die Hälfte. jetzt hat eine wichtige Zielgruppe angesprochen, und die hatte wahrscheinlich sogar Geld. Aber die Anzeigenkunden sehen das Medium Tageszeitung trotzdem nicht als bevorzugte Werbefläche. Bei Bravo meinen sie die geringeren Streuverluste zu haben. Mit bestimmten Fernsehsendungen oder Kinospots ist die Zielgruppe wohl auch gut zu erreichen. Viele haben aber auch die Tageszeitung als Anzeigenmedium für junge Zielgruppen einfach noch nicht entdeckt. Da liegt eine Aufgabe der Verlage: Ihr Know-how einzubringen, damit Anzeigen von den Jugendlichen die Zeitung lesen auch beachtet werden.

BZ: Warum ist es für Zeitungen interessant, ein Jugendforum zu erhalten? Was verbauen sie sich durch deren Einstellung?
Rager: Wir wissen heute gesichert, dass Zeitung lesen relativ früh sozialisiert wird oder gar nicht. Die Zeitungsleser die es gibt, kommen fast immer aus Zeitung lesenden Familien. Neuere Erkenntnisse zeigen aber auch, dass es viele Fälle gibt, wo zwar eine Tageszeitung vorhanden ist, die Jugendlichen aber nicht reinschauen. Und wenn die Zeitungen nicht alles tun, die Leser schon in frühen Jahren von sich zu überzeugen, dann wird es wahnsinnig schwer, einen 25-jährigen Single vom Blatt zu überzeugen. So lange ich denken kann befürworte ich deshalb eine tägliche Jugendseite.

BZ: Wozu werden die "jetzt"-Leser nun greifen?
Rager: Das wüsste ich auch gerne. Die klassischen jetzt-Leser greifen vielleicht zu Magazinen. Und ich denke auch, dass ein Teil die Vorzüge der Süddeutschen Zeitung kennen gelernt hat. Viele Jugendseiten haben wenig von jetzt gelernt. Die Münchner haben sich an Themen gewagt, an die sich ein Jugendmagazin nie getraut hätte. Das liegt natürlich auch an einem Stadt-Landgefälle. jetzt war noch nicht mal was für Städter, sondern wirklich für großstädtische Jugendliche.

BZ: Sollten Jugendmagazine in Zeiten der Pisa-Studie einfach blöd sein?
Rager: Zeitung für Jugendliche muss nicht blöd sein, sondern einfach nur jugendgerecht. So weit wir das von der Ferne aus beobachten können, gelingt es zum Beispiel auch der Badischen Zeitung sehr gut, die junge Zielgruppe mit der JuZ anzusprechen. Gerade in Zeiten von Pisa haben solche Angebote eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit.

BZ: Warum machte "jetzt" das Leben lebenswerter?
Rager: jetzt hatte in vieler Hinsicht Charme und Witz und es war eine ästhetische Qualität in jedem Heft zu finden, die einfach Spaß gemacht hat.

Ressort: Zisch

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