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Kollektives Ausschütten von Hormonen

  • Sa, 21. Juli 2001
    Zisch

     

Altstar Bob Dylan in Lörrach.

Bob Dylan ist vielleicht der bedeutendste Songwriter, den Amerika jemals hervorgebracht hat. Und eine lebende Ikone dazu, ein echtes Relikt aus den Sechzigern - und dieser Mann spielt im Burghof von Lörrach! Der Herr ist schmächtig, trägt Anzug mit Fliege und ein wildes Haargestrüpp auf dem Kopf. Begleitet von zwei Gitarristen, einem Bassisten und einem Schlagzeuger, begeistert er junggebliebene Althippies und neugierige Jugendliche, bietet also generationenübergreifende Unterhaltung.

In sanftes Licht getaucht, spielt die Band gleich als zweiten Song "Mr. Tambourine Man". Die Melodie ist zwar nicht wieder zu erkennen, sehr wohl aber die Stimme des Barden - dieses verlebte, knarrende Instrument, der nuschelnde Beweis seiner Zeitlosigkeit. Und natürlich greift Mister Dylan gelegentlich zur Mundharmonika, um rudimentäre Tonketten herauszupusten, die vor archaischer Simplizität geradezu verwittert erscheinen. Das abwartend beginnende "Desolation Row" mit triumphal einsetzender Begleitband gibt Raum für insgesamt drei Gitarrensoli, bei denen Dylan mit angedeuteten Ausfallschritten ironisch den harten Rocker heraushängt, der er niemals gewesen ist.

Drei Songs aus der aktuellsten LP "Time Out Of Mind" gibt er zum Besten, so auch "'Til I Fell In Love With You" als sumpfigen Bluesrock. Die Hitsingle aus dem Jahre 1966 "I Want You" ähnelt der Studioversion in Sachen Pop-Appeal und Arrangement, "Leopard-Skin Pill-Box Hat" ist erdiger Rock'n'Roll mit einschneidenden Gitarrenriffs. Die Band wechselt zwischen akustischen und elektrifizierten Instrumenten, zwischen sanften Balladen wie "She Belongs To Me" und saftigem Rock. Eines der Glanzlichter ist an diesem Abend - der von größeren Regengüssen verschont blieb - das mysteriöse "Cold Irons Bound": ein Song, der sich in düsterem Klangbild auflädt, um sich in purem Hardrock wieder zu entladen.

Mit harten Drumschlägen beginnt der krachende Slowrock von "Lovesick", ohne obligatorische Orgel hingegen Dylans Klassiker "Like A Rolling Stone" - kollektives Hormonausschütten beim Publikum, als die majestätischen Harmoniewechsel zum Abflug anheben. "All Along The Watchtower" wird harmonisch zunächst verschleiert in kraftvollen Rock umgewandelt. Der Meister scheint beim Text von "Highway 61 Revisited" selbst schmunzeln zu müssen, musikalisch wird der Song als heißer Rockabilly serviert. Es kullern wahre Perlen von der Bühne, so auch die in mehrstimmigem Harmoniegesang vorgetragene Folkhymne "Blowing In The Wind", das letzte von zwanzig Stücken einschließlich Zugaben.

His Bobness schleicht zurück in die Dunkelheit, aus der er kam, bevor die Scheinwerfer sein fahles Antlitz erhellten und er das Publikum in Lörrach mit auf seine Reise nahm - zurück in die Vergangenheit, in Dylans skurriles Märchenland, in die heile Welt der Musik. Spätestens seit diesem Abend darf man ganz sicher sein - that's Rock'n'Roll!

Dennis Roth

Ressort: Zisch

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