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BZ-Interview

Kühe fotografieren die Schweiz mit einer Minikamera

Alexandra Röderer
  • Do, 06. August 2015, 17:48 Uhr
    Baselland

     

Ein Schweizer Landwirt schickt Kühe mit Minikamera in der Glocke auf Fotosafari. Warum die besten Bilder beim Wiederkäuen entstehen und wie die Kuh die Schweiz sieht – im Interview.

Kamerakuh Flora im Bergell, dem Tal der oberen Mera zwischen dem Malojapass und Chiavenna Foto: cowcam.ch
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BZ: Was haben Sie durch das Projekt über Kühe (Fotos) gelernt?
Christoph Sigrist, Landwirt bei Füllinsdorf: Ich habe festgestellt, dass sie immer wieder dieselben Orte aufsuchen. Meine erste Kamerakuh Sofie hat gute Bilder gemacht, aber mit der Zeit waren es doch immer die gleichen. Selbst wenn man die Kuh wechselt. So war die Kamera mehrere Jahre im Münstertal unterwegs. Da gibt es einen Platz, wo sich die Kühe mittags hinlegen. Da hatte ich dann irgendwann ein Foto vor mir, wo ich dachte: Moment mal, das kenne ich doch. Es war derselbe Standort, dieselbe Komposition mit Bergpanorama und Kühen im Vordergrund – nur hatte es eine andere Kamerakuh geschossen.

"Ich suche nicht DAS scharfe, klar aufgegliederte Bild."
BZ: Und was haben Sie dann gemacht?
Sigrist: Es hat ja gut funktioniert und ich wollte auch nicht aufhören. Ich habe dann andere Bauern gefragt, ob sie die Kamera ihren Kühen umhängen würden. Und plötzlich waren mehrere Kameras durch die Schweiz unterwegs. Und in den sieben Jahren seit Projektbeginn hat das einen schönen Einblick gegeben in die Schweiz aus Sicht der Kuh.

BZ: Und wie sieht die Schweiz aus Sicht der Kuh aus?
Sigrist: Nun, ich habe die Kamera so eingestellt, dass sie alle sieben Minuten auslöst, das gibt dann netto 120 Bilder, die die Kuh pro Tag nach Hause bringt. Und interessanterweise ist auf zehn Prozent immer was drauf. Der Rest ist verschwommen oder schwarz-grün – da ist die Kuh am Fressen, und sie frisst oft. Was spannend ist: Wenn sie am Wiederkäuen ist, schaut die Kuh in die Landschaft. Das gibt die besten Bilder. Sie bewegt dabei auch den Kopf hin und her. Die Fotos kann man zusammensetzen, das ist dann wie bei Aufnahmen mit Stativ. Das gibt tolle Panoramabilder. Und der Effekt, dass die Kuh die Schnauze ins Bild hängt, ist auch charmant, oder?

"Ich war bass erstaunt über das Resultat."

BZ: Was macht die Bilder der Kamerakühe so einzigartig?
Sigrist: Die Kamera ist winzig klein, etwa streichholzschachtelgroß und entsprechend ist auch die Qualität. Sie hat nur 1,2 MB, das übertrifft heute jedes Handy. Es ist aber faszinierend, weil sie immer wieder eine gewisse Unschärfe hat, sie flippt auch mal aus in Bezug auf die Farben, macht ganz eigenwillige Geschichten. Ich hatte schon häufig das Feedback, dass die Bilder dadurch erst recht so aussehen, als hätte eine Kuh sie gemacht. Wir sind ja so überfüttert mit diesen hochaufgelösten Bildern. Hier haben wir manchmal so einen gewissen Touch wie von impressionistischer Malerei. Ich wähle die Bilder auch dementsprechend aus. Ich suche nicht DAS scharfe, klar aufgegliederte Bild. Ich freue mich, wenn etwas mal wie gemalt daherkommt. Das sind die Bilder, die die Leute faszinieren. Es ist fast schon ein bisschen märchenhaft, wenn Nebel über der Alm aufzieht und das Ganze so aufgelöst wirkt. Das gibt eine ganz besondere Stimmung.

BZ: Warum haben Sie überhaupt ihren Kühen Kameras umgehängt?
Sigrist: Vor ein paar Jahren kamen Webcams auf, die die Bauern im Stall montiert haben. Ich fand das ganz lustig, dachte aber auch, dass es spannender wäre, wenn die Kuh unterwegs und das Ganze nicht so statisch wäre. Die Kameras waren aber zu groß und die Funkweite zu kurz. Ich habe dann vor sieben Jahren von einem Mann in den USA gelesen, der für seine Katze eine solche Kamera gebastelt hat. Über das Internet habe ich Kontakt mit ihm aufgenommen. Ich habe das ausprobiert und war bass erstaunt über das Resultat.

"Die Kuh Uschi hat die Kamera gleich mit ersäuft."

BZ: Wo sitzt die Kamera?
Sigrist: Mir war von Anfang an klar, dass die Kamera in die Glocke eingebaut sein muss, um gut geschützt zu sein. So irritiert sie die Tiere auch nicht. Das war schon auch ein bisschen Bastelei. Zuerst muss der Klöppel raus. Damit sie ein bisschen gepolstert ist und nicht zu weit hochrutscht, mache ich ein Stückchen Styropor rein. Außen an der Glocke habe ich zwei Gewinde aufgelötet, durch die rechts und links Schrauben eingedreht werden, die sich in das Plastikgehäuse der Kamera bohren, ohne sie zu verletzen.

BZ: Ist da schon mal was schief gegangen?
Sigrist: Die Kuh Uschi hat auf Zaggisboden am Jaunpass mal am Brunnen getrunken und die Kamera gleich mit ersäuft.

"Das hat sie jetzt super gemacht, super!"

BZ: Wie viele Kamerakühe haben Sie im Einsatz?
Sigrist: Insgesamt waren es bisher 27, aktuell sind es zwei. Eine Kamera ist im Bündnerland, aber da habe ich noch kein Feedback bekommen. Sonja ist für eine Kampagne des Bauernverbandes in Einsiedeln unterwegs. Da ist ja das bekannte Kloster. Ich habe immer gehofft, dass das auch mal drauf ist – und sie hat es wirklich hingekriegt.

BZ: Sie hat es hingekriegt?
Sigrist: Man bekommt da schon eine gewisse kindliche Sicht. Ich hatte schon Bilder, wo ich dachte: Das hat sie jetzt super gemacht, super! Wahrscheinlich würde man mich von außen betrachtet eher als komisch empfinden, weil ich sie so personalisiere. Das gehört aber auch dazu.

"Sofie liebt es, am Hals gekrault zu werden."

BZ: Sind Ihre eigenen Kühe auch noch mit Kamera unterwegs?
Sigrist: Immer mal wieder. Im Lauf der Jahre hat sich das auf Sofie eingependelt, weil sie die Kuh ist, die am zutraulichsten ist. Ich habe Mutterkuhhaltung und die sind den ganzen Sommer über ziemlich wild unterwegs, man hat nicht so nahen Kontakt wie zu Milchkühen. Aber die Sofie kommt gerne, wenn ich mit einem Apfel oder einem Stück Brot auftauche, und lässt sich die Kamera umhängen und am Abend auch wieder abnehmen. Mit jeder Kuh kann man das nicht machen. Sofie ist eine meiner ältesten Kühe, sie ist zehnjährig und liebt es, am Hals gekrault zu werden.

BZ: Die Fotos gibt es als Postkarten zu kaufen, Sie haben sie aber auch in einem Buch gesammelt, dazu gibt es Anekdoten – wie kamen die zustande?
Sigrist: Ich bin zum Bauern hin, habe ihm die Fotos vorgelegt und ihn befragt. Da habe ich auch einiges gelernt: Etwa, dass die Bauern die Bilder aus der Sicht der Kuh kommentieren. ’Da schauen sie zurück und denken: Nicht schon wieder dieselbe Weide, da waren wir doch schon gestern, wann gibt es was Frisches.’ Das finde ich spannend. Als Landwirt ist man ja immer unterwegs und überlegt sich, wie sieht das die Kuh? Nur so kann man sie händeln. Ich kann sie ja nicht mit Gewalt zu irgendeiner Aktion zwingen. Die müssen mir gehorchen. Und die gehorchen mir, wenn ich mich in sie reinversetze.

BZ: Jedes Bild eine Geschichte – was ist so mit die kurioseste, die Ihnen einfällt?
Sigrist: Es gab ein Bild, da hat eine Kamerakuh eine Artgenossin auf der anderen Seite des Zauns fotografiert. Da wollte ich von ihrem Bauern wissen, wie es dazu kam. Es stellte sich heraus, dass die Kuh, die man im Bild sieht, ausgebüxt ist. Das war ihre Spezialität, das hat sie den ganzen Sommer immer wieder gemacht und die Älpler beschäftigt.

"Fida hat im Schnitt wirklich hammermäßig tolle Bilder gemacht."

BZ: Und die Kamerakuh hat das Beweisfoto geliefert.
Sigrist: Genau. Mittlerweile hat die andere Almverbot.

BZ: Gibt es eine Kuh, die besonders talentiert ist?
Sigrist: Die Fida im Münstertal. Die hat im Schnitt wirklich hammermäßig tolle Bilder gemacht. Bei dem Buch diskutierten wir mit dem Verlag den großen Knackpunkt: Welches Bild soll aufs Cover? Nach wochenlangem Hin und Herr hatten wir zwei Fotos gefunden. Und wie sich herausstellte, waren beide von der Fida.

BZ: Wie erklären Sie sich Fidas Talent?
Sigrist: Auf der Alp Prasüra war ein junger Bursche, Cedric, der völlig fasziniert war von der ganzen Geschichte. Er ist oft auf eigene Rechnung runter ins Dorf gesprungen und hat Speicherchips für die Kamera besorgt. Das hat sicher mit reingespielt, auch ist die Alm von der Landschaft her wunderschön. Und weil Fida die Lieblingskuh war, war sie auch länger im Einsatz. Aber sie hat auch ein gewisses Talent, das darf man ihr nicht absprechen. Cedric hat immer gesagt: Diese Kuh, die hält den Kopf noch etwas ruhiger und höher.
Christoph Sigrist

ist 60 Jahre alt und bewirtschaftet den Hümpelihof unweit von Pratteln. In Italien hatte er seinen ersten Hof mit Ziegen. Denen hat er übrigens auch schon Kameras umgehängt, mit dekorativem Ziegenbart im Bild. Ein Experiment, wie er sagt. Kühe sollen sein Schwerpunkt bleiben.

Cowcam

Die Bilder gibt es als Postkarten unter cowcam.ch oder als Buch: ISBN 9783037810712. FARO im FONA Verlag, CH Lenzburg, 32 Euro.

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