Senecas Theater des Schreckens in der Übersetzung Durs Grünbeins und in einer ungewöhnlichen Aufführung am Nationaltheater Mannheim / Von Karl-Heinz Ott.
A ls Artaud in den Dreißigerjahren das "Theater der Grausamkeit" ausrief, rannte er damit gegen die intellektuelle Überfrachtung der abendländischen, auf die Sprache fixierten Dramenform an. Dass er dabei - entgegen allem Anschein - die Macht des Wortes nicht generell in den Hintergrund drängen wollte, sondern in manchen Texten sogar eine wildere Energie als in körperlichen Erregungen entdeckte, belegen seine öffentlichen Lesungen von Senecas im ersten nachchristlichen Jahrhundert entstandenden Stücken, die so gut wie nie aufgeführt werden. Lessings vernichtendes Urteil, sie seien von Anfang an Totgeburten gewesen, die nur aus "Bombast und Rotomontaden" bestünden, gilt bis heute als verbindlich. In einem aktionistischen Sinn sind diese Tragödien tatsächlich kaum ...