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Selbstbewusst suchend

Stefan Rother
  • Di, 27. Juni 2017
    Rock & Pop

Popsängerinnen einer neuen Generation: Lorde und Halsey beim Southside-Festival.

Ausdruckstanz und Potenzial erinnern a... beim „Southside“-Festival  | Foto: Stefan Rother
Ausdruckstanz und Potenzial erinnern an Kate Bush: Lorde beim „Southside“-Festival Foto: Stefan Rother
Gibt es den richtigen Sound im falschen? Kann man sich also seinen eigenwilligen Zugang zur Musik bewahren und dabei Millionenerfolge feiern? Die persönliche Botschaft rüber bringen und gleichzeitig die Massen zum Tanzen bewegen? Diese Kunst-versus-Kommerz-Debatte ist fast so alt wie die Popgeschichte, es fällt aber auf, dass bis heute weibliche Musiker davon besonders betroffen sind. Hier lauert schnell der Vorwurf, die Sängerinnen seien nur ein "Produkt" – mit der unterschwelligen Annahme, im Hintergrund fänden sich eben doch Männer, die die Fäden der Musikmarionette ziehen.

Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass zumindest in Deutschland bei Musikfestivals, die ja vom Ruf der Authentizität leben, die Quote an beteiligten Frauen in einem Bereich liegt, der selbst verstaubten Unternehmensvorständen peinlich wäre. Dass am späten Sonntag in Neuhausen ob Eck zu Ende gegangene Southside-Festival stellt traditionell eine vergleichsweise rühmliche Ausnahme dar. Am Wochenende konnten die 60 000 Besucher zum Festivalabschluss zwei besonders spannende Musikerinnen erleben: die 22-jährige Amerikanerin Halsey und die 20-jährige Neuseeländerin Lorde – wobei die jüngere als Wegbereiterin der geringfügig älteren gelten kann.

Denn Lorde schaffte bereits mit 16 Jahren den großen Durchbruch und mit ihrer Debütsingle "Royals" einen Nummer-eins-Hit in den USA. Auch für ihr 2013 veröffentlichtes erstes Album hagelte es Lobpreisungen, David Bowie sah in ihrem künstlerischem Elektropop gar "die Zukunft der Musik". Lorde dankte es ihm, indem sie nach seinem Tod mit "Life on Mars" die wohl berührendste der vielen Coverversionen zu seinen Ehren sang.

Was Lordes Debüt neben ihrer eindringlichen Stimme und den ungewöhnlichen Beats auszeichnete, war diese so oft gesuchte Atmosphäre der Authentizität – die Sängerin sprach selbst davon, mit den Songs das Gefühl ihrer Teenagerjahre einfangen zu wollen. Wie geht man dann aber beim zweiten Album vor? Ella Marija Lani Yelich-O’Connor nahm sich erst mal eine Auszeit und kehrte nach Neuseeland zurück. Dort erlebte sie das, was junge Menschen eben so erleben: Liebesglück, das Ende einer Beziehung, zu viele Drinks in einem abgelegenen Pub oder bei einer Privatparty, Tränen im Taxi, die Unsicherheit, ob man dem eigenen Umfeld nicht furchtbar auf die Nerven geht.

Aus all den Motiven ist das soeben erschienene großartige Album "Melodrama" entstanden, in dessen Gefühlsschwankungen sich sicherlich viele ihrer Hörerinnen und Hörer wiederfinden können. Die passende Musik dazu komponierte sie wiederum fern der Heimat in New York, diesmal mit Jack Antonoff. Der verfasste für die Band fun. bereits die Hymne "We Are Young" und schrieb mit Lorde "Green Light". Der Song klingt ähnlich euphorisch, aber mit melancholischer Note und soll die Stimmung eines Mädchens verdeutlichen, das bei einer Party betrunken den Frust über ihren Ex-Freund wegtanzt – im Wissen, dass sie am nächsten Morgen beginnen wird, ihr Leben selbst in den Griff zu kriegen.

So verknüpft Lorde Texte über recht alltägliche Gefühle mit immer noch angenehm schräger Musik – bei Halsey ist es tendenziell anders herum. Der Elektropop der New Yorkerin wirkt wesentlich eingängiger, ohne sich dabei sonderlich an den Mainstream anzubiedern. Zwar geht es auch bei Ashley Nicolette Frangipane, so ihr Name, oft um Beziehungsdinge, dazu kommt aber auch reichlich nach außen gerichtete Rebellion. Schließlich, verkündet die Sängerin selbst, sitze sie zwischen allen Stühlen und sei bisexual, bipolar und biracial (ihre Mutter hat italienisch-irisch-ungarische Wurzeln, der Vater ist Afroamerikaner).

In Neuhausen gab sie sich zunächst etwas distanziert und ließ nach 40 Sekunden alle Fotografen aus dem Graben werfen. Was divenhaft wirkte, war aber vielleicht nur Unsicherheit, wie sie kurz darauf bekannte: Der Wind mache ihr Sorgen, schließlich trage sie eine Perücke und keinen BH. Zum Zeitpunkt des Bekenntnisses hatte sie das Publikum mit wuchtigen Beats aber ohnehin bereits auf ihre Seite gezogen. Auch bei Halsey ist soeben das zweite Album erschienen und "Hopeless Fountain Kingdom" ist ebenfalls eine Art Konzeptalbum geworden, das eine rohe "Romeo und Julia"-Geschichte im 21. Jahrhundert erzählt.

Das Alter und der Erfolg, die Mischung aus offensivem Selbstbewusstsein und Unsicherheit, die in den Texten thematisierte Suche nach dem eigenen Weg und den Irrungen des Erwachsenwerdens machen Lorde und Halsey zu Vorbildern vieler junger Frauen. Ohne sich explizit Feministinnen zu nennen, leben beide vor, dessen Errungenschaften zu nutzen und einzufordern. Mit ihren zweiten Alben und den Konzerten haben beide Sängerinnen die hohen Erwartungen an ihre Musik und ihre Rolle als Popstars mit Anspruch bislang weitgehend erfüllt. Vor allem bei Lorde werden nicht nur aufgrund des eigenwilligen Ausdruckstanzes Erinnerungen an eine wahre, bis heute relevante Poppionierin wach, die ebenfalls sehr jung begann: Kate Bush. Bezeichnenderweise erklang direkt vor dem Auftritt deren Song "Running Up That Hill" – Lorde weiß eben, dass Tradition verpflichtet.

Ressort: Rock & Pop

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 27. Juni 2017: PDF-Version herunterladen

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