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Sound der Alpen

Tierschützerin will Schweizer Kühe von ihren Glocken befreien

  • Nadja Al-Khalaf & dpa

  • Mi, 29. Juli 2015, 00:01 Uhr
    Panorama

Zu einer Alpenwanderung scheinen klingende Kuhglocken zu gehören wie Enzian und Edelweiß. Doch was halten die angeblich so glücklichen Schweizer Kühe davon, dass ihnen ständig eine Glocke am Hals hängt?

In den Schweizer Bergen  gehören Kühe mit Glocken zum Alltag.  | Foto: Carlotta Huber
In den Schweizer Bergen gehören Kühe mit Glocken zum Alltag. Foto: Carlotta Huber

Leiden sie unter der Last und dem Gebimmel? Mit ihrer Forderung, den Kuhglocken-Brauch zu verbieten, hat die in der Schweiz lebende Holländerin Nancy Holten eine Kontroverse ausgelöst.

"Für Kühe sind die Glocken in etwa so laut, als wenn wir uns einen Presslufthammer ans Ohr halten würden", beschwert sich Holten, eine Aktivistin, die in der Schweiz des Öfteren Furore macht. Mit Medienauftritten und der Facebook-Gruppe "Kuhglocken out" kämpft Holten (41) dafür, den Schweizer Nationaltieren das Glockentragen zu ersparen. Bisher ist ein Verbot des "Soundtracks der Alpen", wie Schweiz-Tourismus-Sprecher Alain Suter das Geläut nennt, unwahrscheinlich. Holtens sogenannte Out-Gruppe ist zwar auf 4117 Unterstützer gewachsen. Doch die Facebook-Gruppe "Pro Kuhglocken" hat fast 20 000 Anhänger.

"Geh doch, du holländischer Trottel, geh zurück zu deinen Windmühlen und sammle Tulpen", pöbelte ein Leser im Online-Kommentar einer Zeitung. Die Kritiker werden oft unsachlich. Das Thema Kuhglocken scheint einen wunden Punkt im Nationalgefühl der Schweizer getroffen zu haben.

Groß war auch die Empörung der Viehwirte über den vermeintlichen Angriff auf uraltes "Brauchtum und Kulturgut". Die Wut vieler Landwirte richtete sich auch gegen eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Die Forschungsarbeit beweise, dass Wiederkäuer in unvertretbarem Ausmaß unter dem Gewicht und dem Lärm litten, machten Glockengegner geltend.

Tatsächlich haben die Zürcher Tests ergeben, dass das Tragen der Glocken nicht folgenlos ist: 19 untersuchte Kühe mit 5,5 Kilogramm schweren Glocken bewegten ihre Köpfe seltener als glockenlose Artgenossinnen. Zudem fraßen und ruhten sie weniger.

Ob die Studie allerdings die Realität von Glocken tragenden Kühen beschreibt, bezweifelt man auch in Deutschland. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Milchbauern, Thorsten Sehm sagt: "Eine normale Kuhglocke hat ein Gewicht von 900 Gramm bis maximal 2 Kilogramm."

Auch vom Gewicht der Glocke abgesehen, kann Sehm nur den Kopf über die Empörung der holländischen Aktivistin schütteln: "Würde die Kuh die Glocke stören, würde sie schon eine Möglichkeit finden sie los zu werden. Und wenn es durch Reiben des Glockenbandes an Bäumen wäre." Zudem seien Glocken nun einmal notwendig, um in den Hochtälern der Alpen die Herden zusammenzuhalten. Dem stimmt auch Martina Klausmann vom Deutschen Tierschutzverband Baden-Württemberg zu. "Mann muss eben abwägen, ob das freie Weiden von Kühen, das mit dem Tragen der Glocke einhergeht, im Sinne des Tierwohles nicht überwiegt", meint die Tierschützerin zum Streit.

Sowohl Klausmann als auch Sehm sind sich einig: Es gäbe eine Alternative zur Glocke. Thomas Sehm verweist auf einen deutschen Bauern, der diese bereits verwendet. Er hat seinen Kühen Transponderhalsbänder angeschafft und kann nun gemütlich mit Hilfe von Koordinaten und Google Maps kontrollieren, wo sein Vieh sich befindet. Der Nachteil allerdings sei, dass der Bauer via Transponder nicht prüfen kann, ob sich eine Kuh verletzt hat. Zum Beispiel nach einem Unwetter. Außerdem diene das Tragen einer Glocke bei nicht frei weidenden Kühen auch dem Zusammenhalt der Herde, sind sich die Experten einig.

Tierrechtsaktivistin Holten ficht derlei Argumente nicht an. Für den Herbst bereitet sie mit ihren Mitstreitern eine neue Kampagne vor: "Was du selber nicht gern hast, tue keinem anderen an."

Kämpfen wird Holten wohl müssen, gegen Traditionen und die alte Kostenfrage, die auch in der Landwirtschaft nie weit her ist. In Deutschland, erübrigt sich der Streit wahrscheinlich von selbst. Es gibt kaum noch frei weidende Kühe, wenige Teile des Schwarzwalds, Bayerns und Hessens ausgenommen.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 29. Juli 2015: PDF-Version herunterladen

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