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"Das Gefühl, ein Ufo zu sein"

Daniel Laufer
  • Do, 02. Juli 2015
    Freiburg

     

BZ-INTERVIEW mit Dirk von Lowtzow von der Band Tocotronic. Am Samstag spielt sie beim ZMF.

Tocotronic-Frontmann Dirk von Lowtzow  | Foto: Boerger/dpa
Tocotronic-Frontmann Dirk von Lowtzow Foto: Boerger/dpa

Am Samstagabend spielen Tocotronic beim ZMF. "Ich weiß nicht, wieso ich Euch so hasse – Fahrradfahrer dieser Stadt." So lautet eine Textzeile im Song "Freiburg". Daniel Laufer hat mit Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow über die Stadt gesprochen, in der er in den Neunzigern einige Zeit lebte.

BZ: Wie viele Touristen, schätzen Sie, haben Sie Freiburg in den vergangenen 20 Jahren gekostet?
Von Lowtzow: Keine Ahnung, ich bin über das touristische Aufkommen in Freiburg nicht so informiert. Nach Freiburg kommen aber bestimmt auch viele Leute aus Norditalien, Frankreich oder der Schweiz. Vielleicht kennen die unser Lied ja gar nicht. Ich glaube, wir haben uns als Band da nichts vorzuwerfen.
BZ: Rocko Schamoni hat Freiburg ja neulich als "Wohlfühlstadt" bezeichnet, "im Positiven wie im Negativen – und dann mal wieder Tocotronic zitiert: "Ich weiß nicht, wieso ich Euch so hasse – Fahrradfahrer dieser Stadt."
Von Lowtzow: Das Stück ist jetzt 22 Jahre alt. Es ist einen bestimmten Weg gegangen, ein paar Leute kennen es – insofern hatte es mit Sicherheit einen gewissen Einfluss.
BZ: Sie besingen unter anderem Backgammon-Spieler. Das Spiel ist ja etwas aus der Mode gekommen. Würden Sie das Lied updaten: Was müsste da rein? Slackliner?
Von Lowtzow: In diesem Sinne kann man Songs nicht updaten – das würde dann eine Art Kabarett werden. Als solches war es nie gedacht. Es ging nicht darum, "mit spitzer Feder Missstände humoresk zu geißeln". Das Stück war ein Konstrukt und ich glaube, es hat seine Gültigkeit. Vielleicht ja auch nicht – das muss jeder Einzelne, der es hört, für sich entscheiden. Jedenfalls würde es nicht an Gültigkeit gewinnen, würde man darin jetzt verschiedene Sachen austauschen oder updaten.
BZ: Was sind das für Freiburger, die zum ZMF kommen, um ein Tocotronic-Konzert zu sehen – womöglich noch mit dem Fahrrad?
Von Lowtzow: Eine ganze Fahrrad-Armee von wütenden Tocotronic-Gegnern? Das wäre lustig! Wir spielen trotzdem gerne beim ZMF. Wenn ich ganz offen sprechen darf: Mich langweilen diese Fragen zu Freiburg und diesem Lied ein bisschen. Die kommen immer, wenn wir in Freiburg spielen und ein Interview geben (lacht). Es ist nicht das Originellste, was man fragen kann. Wir haben das Lied vor 22 Jahren geschrieben – ich singe das auch immer noch. Es hat seine Gültigkeit, da es weniger von der konkreten Stadt Freiburg handelt, als von einem Gefühl der Vereinzelung und des Ausgegrenztseins. Das Gefühl ein Ufo zu sein und sich nicht integrieren zu können oder zu wollen. Ein sehr vertrautes Gefühl – damals wie heute.
BZ: Die Beziehung von Tocotronic zu Freiburg mag nicht von diesem Lied geprägt sein –aber die Beziehung von Freiburg zu Tocotronic schon. Wann man hier über Euch spricht, kommt grundsätzlich dieses Zitat. In Freiburg scheint das also schon aktuell geblieben zu sein.
Von Lowtzow: Das verstehe ich gut, ist ein gutes Argument (lacht). Es ist einfach ein bisschen müßig, immer wieder darüber zu reden. Ich glaube, das Lied ist vielleicht deshalb so gut und hat die Zeit auch überdauert, weil es eine gewisse Rätselhaftigkeit hat. Man fragt sich, warum die Backgammonspieler oder das Tanztheater erwähnt werden. Sind das dämonische Geheimgesellschaften? Wenn jemand dann beispielsweise aus Hannover nach Freiburg kommt und das Lied kennt, wird er vielleicht sagen: Stimmt, das ist ja wirklich alles genau so. Trotzdem bleibt ein gewisses Maß an Rätselhaftigkeit. Das immer weiter aufzudröseln, finde ich von uns als Band nicht richtig. Dass es in Freiburg vielleicht ein geflügeltes Wort ist, erscheint mir aber logisch.
BZ: Sie haben damals in Offenburg angefangen, mit anderen zusammen in Bands zu spielen, offiziell zählt man Sie wohl zur Hamburger Schule. Sie haben aber auch elektronische Musik gemacht – zum Beispiel mit Justus Köhnke, der aus der Kölner Ecke kommt und jetzt in Berlin lebt. Im musikalischen Sinn: Wo befindet sich denn da Ihre Heimat?
Von Lowtzow: Heimat ist ein Begriff, den ich nicht kenne und auch nicht anerkenne. Damit habe ich nichts am Hut. Natürlich kommt jeder Mensch irgendwoher, ich bin in Offenburg geboren, da leben meine Eltern. Aber Heimat? Das sind identitäre Konzepte, die mich persönlich nicht interessieren. Das ist so ein bisschen wie: "Was ist man überhaupt für ein Mensch?" Dieses Konzept der Identität habe ich nie verstanden. Man setzt sich doch tatsächlich aus tausend verschiedenen Menschen und tausend verschiedenen Regionen zusammen. Das trägt und formt einen und ist das, was einen ausmacht. Da kann man nicht sagen, da gibt es einen Ort oder eine Eigenschaft, die einen charakterisiert.

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 02. Juli 2015: PDF-Version herunterladen

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