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Religion

Kult in Nepal: Von einer Göttin zum normalen Mädchen

  • dpa

  • Di, 31. Januar 2017, 00:00 Uhr
    Panorama

Im Zentrum eines Kultes in Nepal stehen Mädchen, die als Göttinnen verehrt werden. Mit dem Beginn der Pubertät beginnt für sie das normale Leben. Der Übergang ist nicht immer leicht.

Kumari Samita Bajracharya, eine sogena...göttin, wird im April 2011  angebetet.  | Foto: dpa
Kumari Samita Bajracharya, eine sogenannte Kindgöttin, wird im April 2011 angebetet. Foto: dpa

Es ist nicht allzu lange her, da wurde Chanira Bajracharya in Nepal noch als Göttin verehrt. Heute macht die 21-Jährige einen Master in Betriebswirtschaft. Ihre Geschichte handelt von einem religiösen Kult. Und einem Übergang ins normale Leben, der nicht immer leicht war.

Bajracharya war kaum sechs Jahre alt, als sie im April 2001 von Hindu-Priestern als sogenannte Kumari ausgewählt wurde. Diese jungen Mädchen werden als Inkarnationen der Hindugöttin Taleju angesehen und sowohl von Hindus als auch Buddhisten verehrt. Im Kathmandutal gibt es neun solcher Kindgöttinnen. Sie sind Trägerinnen einer jahrhundertealten Tradition. Doch ihr Alltag ist hart.

Eine Kumari lebt entweder im Tempel oder zu Hause, darf ihre Wohnstätte aber nicht verlassen. Jeder Morgen beginnt mit einem Ritual. Erst wird aufwendiges Augen-Make-up aufgetragen, dann folgen Gebete. Danach empfängt die Kindgöttin Besucher, die um ihren Segen bitten. Als Zeichen der Ehrfurcht berühren manche die Füße der Göttin mit ihrer Stirn.

Beim Jatra Festival zum Ende der Regenzeit wird sie auf einer Sänfte durch die Straßen der antiken Königsstadt Lalitpur getragen, wo Tausende von Gläubigen und maskierten Tänzern die Hindugöttin Taleju verehren. Eine Kindheit sei das nicht, finden Kinderrechtler.

"Letzten Endes ist die Kindgöttin ein Kind. Sie sollte nicht auf eine Art und Weise behandelt werden, die sich negativ auf ihre Psyche auswirken könnte", sagt Gauri Pradhan, ein ehemaliger Gesandter der nationalen Menschenrechtskommission. Dennoch wolle er die Tradition nicht abschaffen. Die Behörden sollten aber die Situation der Kumari verbessern. "Sie müssen ihr erlauben, mit ihren Freunden zu spielen und ihre Eltern regelmäßig zu sehen", sagt Pradhan.

Eine Petition zur Abschaffung der Kumaris war bereits 2005 bei Nepals Oberstem Gericht eingereicht worden, sie scheiterte aber drei Jahre später. Stattdessen wies das Gericht die Regierung an, das traditionelle Regelwerk rund um die Kindgöttinnen zu reformieren.

"Das ist kein Kindesmissbrauch", sagt die Kulturwissenschaftlerin Chunda Bajracharya von der Universität Tribhuvan, die trotz des gemeinsamen Nachnamens keine Verwandte der ehemaligen Kindgöttin Chanira Bajracharya ist. Die Mädchen dürften zu Hause auch spielen, betont sie. "Es zeigt vielmehr, dass unsere Kultur seine Kindheit würdigt, indem sie dem Mädchen göttliche Macht verleiht. Und in ein paar Jahren ist es wieder frei."

Das sieht auch die ehemalige Kindgöttin so. "Wir helfen, unsere Kultur zu bewahren. Die Leute reden negativ darüber, aber die Tradition hat viele gute Seiten, einschließlich ihrer Anziehungskraft für Touristen", sagt sie. Sie fordert aber höhere Renten und bessere Ausbildungsmöglichkeiten für ehemalige Göttinnen.

Kinderrechtler und einige Eltern von Kumaris setzten sich bereits seit Anfang der 2000er dafür ein, dass die Mädchen zu Hause unterrichtet werden dürfen und so eine Ausbildung erhalten. Bajracharya war eine der ersten, die von den Veränderungen profitierte. Im Alter von 15 Jahren legte sie im März 2010 die Prüfungen der zehnten Klasse ab. Als ein halbes Jahr später die Pubertät bei ihr einsetzte, endete mit ihrer Kindheit auch ihr Leben als Göttin. Aber der Übergang ins normale Leben fiel der damals 16-Jährigen schwer. Schon das Verlassens ihres Hauses war eine Herausforderung, erzählt sie.

"Ich musste zu einem nahegelegenen Tempel gehen. Dabei war ich das letzte Mal vor neun Jahren zu Fuß auf der Straße unterwegs gewesen und war es nicht mehr gewohnt. Ich wünschte, es hätte mich jemand auf meiner Sänfte getragen", erinnert sie sich. Mit der Hilfe ihrer Eltern – einem Maler und einer Hausfrau – lernte sie wieder, längere Strecken zu Fuß zu gehen. Aber auch der Umgang mit Gleichaltrigen fiel ihr schwer, als sie erstmals eine Schule besuchte.

Bajracharya sagt, sie hätte sich mehr Hilfe beim Übergang ins normale Leben gewünscht. Bereut habe sie ihre Zeit als Göttin aber nie. "Ich habe großes Glück, zwei Leben zu haben – eines als Kindgöttin und ein anderes als normaler Mensch. Darauf bin ich sehr stolz."

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 31. Januar 2017: PDF-Version herunterladen

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