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Anwohner müssen die Häuser verlassen

Julius Müller-Meiningen
  • & dpa

  • Fr, 17. August 2018
    Panorama

Nach dem Brückeneinsturz in Genua werden immer noch bis zu 20 Menschen vermisst / Betreibergesellschaft in der Kritik.

Feuerwehrmänner tragen das Hab und Gut...die diese nicht mehr betreten dürfen.   | Foto: dpa
Feuerwehrmänner tragen das Hab und Gut von Menschen aus den Wohnungen, die diese nicht mehr betreten dürfen. Foto: dpa

ROM. Zwei Tage nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua werden die Rettungsarbeiten fortgesetzt. Es könnten immer noch "zwischen zehn und 20 Vermisste" unter den Betontrümmern liegen, sagte Oberstaatsanwalt Francesco Cozzi. Bislang wurden 38 Todesopfer geborgen. 15 Verletzte werden in den Krankenhäusern der Stadt behandelt, neun von ihnen sind schwerverletzt.

An diesem Samstag soll auf dem Messegelände der Hafenstadt die Trauerfeier für die Opfer und ihre Angehörigen stattfinden. Dazu wird auch Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella erwartet. Die Staatsanwaltschaft Genua ermittelt weiter gegen Unbekannt, einer der möglichen Straftatbestände lautet auf mehrfache fahrlässige Tötung. Oberstaatsanwalt Cozzi teilte mit, dass der Konzessionsvertrag zwischen der Betreibergesellschaft der Autobahn "Autostrade per l’Italia" und der italienischen Regierung konfisziert wurde, um die Bestimmungen zur Instandhaltung der Autobahnbrücke über den Polcevera-Fluß zu prüfen. Weil sich unter den Opfern auch vier französische Staatsbürger befinden, ermittelt nun auch die Staatsanwaltschaft in Paris.

Nach dem Einsturz der Brücke am Dienstag wurde bekannt, dass das 1967 eingeweihte Morandi-Viadukt, das durch das Stadtgebiet von Genua verläuft und eine der wenigen und dadurch völlig überlasteten Verbindungen zwischen dem westlichen und dem östlichen Stadtteil ist, von Beginn an Gegenstand von Instandhaltungsarbeiten war. Bereits 1968 erfolgten die ersten Maßnahmen zur "strukturellen Stärkung" der Brücke. Über ihre Stabilität hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder Spekulationen gegeben.

Die italienische Regierung prangerte am Donnerstag erneut die Betreibergesellschaft an und bekräftigte damit das Vorhaben, dem Unternehmen die Konzession zu entziehen. "Autostrade per l’Italia" teilte wiederum mit, seine Sorgfaltspflichten erfüllt zu haben und wies auf eventuelle Entschädigungszahlungen im Fall einer vorzeitigen Kündigung der Konzession hin, die bis zum Jahr 2038 erteilt wurde. Am Donnerstag verloren die Aktien der Betreiber-Holding Atlantia, deren Mehrheitseigner die Textilhersteller-Familie Benetton ist, an der Mailänder Börse zeitweise bis zu 25 Prozent ihres Wertes.

Arbeitsminister und Vizeregierungschef Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) gab sich empört. Während noch die Toten gezählt würden, beharre die Betreibergesellschaft auf ihrem Profit. "Das ist schändlich, sie hätten wenigstens ein Wort für die Opfer verlieren können", sagte er.

Inzwischen gerät aber auch die Fünf-Sterne-Bewegung wegen ihrer Haltung zu vielen Infrastrukturprojekten in die Kritik. Die Partei von Gründer Beppe Grillo bildet erst seit zwei Monaten zusammen mit der rechtsnationalen Lega um Innenminister Matteo Salvini eine gemeinsame Regierung. Verkehrsminister Danilo Toninelli (M5S) hatte Anfang August angekündigt, mehrere große Infrastrukturprojekte in Italien einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen zu wollen. Dazu zählte auch eine "Gronda" genannte, vier Milliarden Euro teure Umgehungsstraße in Genua, die den Autobahnabschnitt mit der Morandi-Brücke entlastet hätte.

Nun wurde bekannt, dass sich Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung mehrfach gegen die Entlastungsstraße ausgesprochen hatten. So wurde 2013 auf einem Blog der Fünf-Sterne-Bewegung eine Erklärung von Gegnern der Umgehungsstraße veröffentlicht. Darin hieß es: "Der Einsturz der Morandi-Brücke ist ein Märchen." Zwei Jahre zuvor hatte der Industriellenverband Genua vor einem Kollaps gewarnt.

Nach dem Unglück vom Dienstag wurde der damalige Eintrag von dem betreffenden Fünf-Sterne-Blog entfernt. 2014 schimpfte der aus Genua stammende Partei-Gründer Beppe Grillo bei einer Veranstaltung gegen die 61 Kilometer lange Umgehungsstraße. "Wir müssen sie mit der Armee aufhalten!", forderte er. Die Gronda-Umgehungsstraße, auf der 23 Tunnels und 24 Brücken gebaut werden sollen, ist seit Jahren das umstrittenste Verkehrsprojekt in Genua und Ligurien. In einigen Monaten sollen die Planungen beendet sein. Es wird mit einer Bauzeit von zehn Jahren gerechnet.

Den Menschen, deren Wohnung in unmittelbarer Nachbarschaft zur eingestürzten Brücke liegt, würde das kaum helfen. Wie nun bekannt wurde, müssen Hunderte von ihnen ihre Häuser aus Sicherheitsgründen verlassen. Regionalpräsident Giovanni Toti erklärte am Donnerstag, dass die Häuser nicht wieder bewohnt werden können. In den nächsten Tagen sollen Häuser für sie zur Verfügung gestellt werden.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 17. August 2018: PDF-Version herunterladen

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