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Zischup-Interview

"Samstags haben die Deutschen ihre Autos gewaschen"

  • Felice De Iacovo, Klasse 8a, Kolleg St.Sebastian & Stegen

  • Fr, 11. August 2017, 10:25 Uhr
    Schülertexte

     

Als kleiner Junge kam der Vater von Felice De Iacovo, Schüler der Klasse 8a des Kollegs St. Sebastian in Stegen, von Italien nach Deutschland. Im Gespräch mit seinem Vater und seiner Großmutter (Nonna) holt der Zischup-Reporter die Vergangenheit zurück.

Felices Nonna mit ihrem Sohn   | Foto: privat
Felices Nonna mit ihrem Sohn Foto: privat
Zischup: Was hat euch bewogen nach Deutschland zu kommen?
Nonna: Die Arbeit. In Italien gab es keine Arbeit, und wir wollten ein Haus bauen.
Papa: Meine Eltern wollten ein Zukunft für uns Kinder.
Zischup: Was habt ihr von Deutschland gewusst, als ihr euch entschieden habt herzukommen?
Nonna: Wir wussten nur, dass es dort Arbeit gibt. Wir wussten, was wir zurückließen, aber nicht, was wir vorfinden würden. Dein Nonno, also dein Großvater, ist zuerst alleine gegangen und hat uns dann zwei Jahre später nachgeholt.
Papa: Ich wusste nichts über dieses Land, überhaupt nichts – nur dass mein Vater dort war.
Zischup: Habt ihr euch ausgesucht, in welche Stadt ihr geht?
Nonna: Nein, der Nonno hat einen Vertrag unterschrieben, da stand die Stadt fest. Er kam nach Hagen.

Zischup: Warum ist der Nonno zuerst alleine gegangen?
Nonna: Wir wussten nicht, wie es dort sein würde. Deshalb hat er sich zuerst umgesehen und hat die Situation analysiert. Erst als er sicher war, dass man da leben konnte, hat er die Familie zu sich geholt. Nach zwei Jahren.
Papa: Er wollte eigentlich schnell wieder nach Italien zurück. Aber mit der Zeit hat er darüber nachgedacht, die Familie zu sich zu holen.
Zischup: Zwei Jahre sind aber eine lange Zeit!
Nonna: Er wollte ganz sicher sein, dass wir es gut haben.
Zischup: Nonna, bist du gerne gegangen oder wärst du lieber in Italien geblieben?
Nonna: Ich bin nicht gerne aus Italien weggegangen, aber das Wichtigste war, dass wir zusammen waren.
Papa: Ich kann mich erinnern, wie ich als Kind auf dem Feld meines Großvaters stand. Ich wusste, dass ich nach Deutschland sollte. Als meine Mutter mich rief, habe ich gesagt: Ich will hier nicht weg! Fahrt alleine!
Zischup: Papa, kannst du dich an die Reise nach Deutschland erinnern? Warst du aufgeregt?
Papa: Ich saß im Zug, da stieg eine angetrunkene Clique Bayern ein. Einige haben sich zu uns gesetzt. Zuerst hatte ich ein bisschen Angst. Im Laufe der Fahrt aber hat einer meiner Schwester ein Geschenk gemacht, einen kleinen Plastikpudel.

Zischup: Was war das erste, was du in Deutschland gesehen hast?
Papa: Der Bahnhof in Hagen. Der Zug kam um zwei Uhr nachts an und es war so kalt.
Zischup: Wie war die erste Zeit in Hagen? Hat euch die Stadt gefallen? Waren die Leute freundlich zu Euch?
Nonna: Die Leute waren freundlich. Bei der Arbeit habe ich sofort Freundschaften geschlossen. Mit manchen habe ich heute noch Kontakt.
Papa: Die Leute waren sehr freundlich. Trotzdem waren wir immer "die Italiener" und ich glaube, die Deutschen fühlten sich als etwas Besseres. Die Stadt hat mich erschreckt: Ich hatte noch nie eine so große Stadt gesehen. Am Anfang waren wir immer als Familie zusammen. Aber nach einer gewissen Zeit musste Nonna arbeiten und meine Schwester zur Schule. Da habe ich ausnahmsweise die Erlaubnis bekommen, mit meiner Schwester in die Schule zu gehen.

Zischup: Wie habt ihr Deutsch gelernt?
Nonna: Ich habe immer die Kinder gefragt, wie heißt das, was Du anhast? Schürze. Was ist das? Ein Handschuh. So habe ich Deutsch gelernt.
Papa: Richtiges Deutsch habe ich durch meine Mutter gelernt. Ich musste immer vorlesen. Und wenn es nicht so klang wie im Fernsehen oder im Radio, musste ich es so lange wiederholen, bis sie zufrieden war.
Zischup: Papa wie waren die deutschen Kinder in der Schule zu dir? Hattest du deutsche Freunde?
Papa: Ja, ich hatte auch deutsche Freunde. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass ihre Eltern auf mich herabgesehen haben. Und viele Väter waren immer am Trinken.
Nonna: Als er seine Freunde mit nach Hause gebracht hat, haben sie unsere Pasta gegessen, aber den Parmesan wollten sie nicht. Und dann wollte auch dein Papa keinen Käse mehr!
Zischup: Nonna, wo hast du gearbeitet?
Nonna: Zuerst in einer Fabrik, die Fahrradketten herstellte. Dann in einer Gießerei. Und schließlich in einem Krankenhaus. Dort habe ich die Operationssäle desinfiziert.

Zischup: Was hat euch in Deutschland gefallen? Was war schlimm für euch?
Nonna: Mir hat die Ehrlichkeit der Deutschen gefallen. Sie waren immer korrekt. Aber sie vergeben auch nichts.
Papa: Ich muss oft an eine alte Frau denken, die mir immer Kirschen geschenkt hat. Und daran, dass die Leute am Samstag immer ihre Autos gewaschen haben.
Zischup: Habt ihr Heimweh gehabt? Wie oft seid ihr nach Hause gefahren?
Papa: Ich habe oft an den Rest der Familie in Italien gedacht, aber ich war mit meinen Eltern und meiner Schwester zusammen, das war wichtig. Die Nonna hat immer Heimweh gehabt nach Italien. Aber sie hat es versteckt. Einmal im Jahr sind wir nach Italien gefahren – im Sommer.
Zischup: Wie habt ihr die Deutschen erlebt? Was denkt ihr heute von Deutschland?
Nonna: Sie sind korrekt. In Italien rauben sie dich aus!
Papa: Als Kind hatte ich eine große Distanz zu Deutschland. Dann habe ich in Deutschland studiert und mir hier mein Leben aufgebaut, Kinder bekommen. Inzwischen denke ich, Italien oder Deutschland ist eigentlich egal. Man muss sich nur in seinem Verhalten anpassen. Wichtig ist, wo die Familie ist.

Ressort: Schülertexte

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