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"Täter begreifen nicht, was mit ihnen passierte"

  • Fr, 27. April 2012
    Schülertexte

     

ZISCHUP-INTERVIEW mit Gefängnispfarrer Werner Higel.

Werner Higel   | Foto: Marquardt
Werner Higel Foto: Marquardt

Werner Higel arbeitet in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg als evangelischer Pfarrer und Seelsorger. Leonie Marquardt und Sophie Winter, Schülerinnen der Klasse 8r des Montessori-Zentrums Angell, haben ihn interviewt.

Zischup: Was machen Sie in der JVA?

Higel: Für etwa 600 männliche Strafgefangene bin ich Ansprechpartner bei allen Sorgen und Nöten. In einem richtigen Kirchenraum mit Orgel feiern wir jeden Sonntag ökumenische Gottesdienste, abwechselnd mit dem katholischen Kollegen. Ein weiterer Schwerpunkt der Seelsorgearbeit ist es, den Kontakt zur Familie und zum sozialen Umfeld zu fördern.
Zischup: Welche Verbrechen haben die Menschen begangen, mit denen Sie arbeiten?
Higel: Alle, die man sich vorstellen kann, wenn man es sich vorstellen möchte. Der Großteil der Tötungsdelikte (Mord, Totschlag) sind Beziehungstaten, das heißt Taten, die im engeren sozialen Umfeld stattgefunden haben, oft aus Gründen wie Eifersucht. Schwerer ist es mit Menschen zu arbeiten, die sexuelle Straftaten verübt haben.
Zischup: Es gibt Menschen, die ihre eigene Ehefrau umgebracht haben?
Higel: Ja, das gibt es gar nicht so selten. Die Täter begreifen oft nicht, was mit ihnen passiert ist, oft hat sich so eine Tat über Jahre angedeutet. Die meisten dieser Täter waren vorher nie kriminell, sie würden ihre Tat am liebsten ungeschehen machen.
Zischup: Sind die Menschen, mit denen Sie es zu tun haben, dankbar für Ihre Unterstützung?
Higel: Wir als Seelsorger sind sehr gefragt. Wir betreuen alle, unabhängig ihrer Weltanschauung oder Religion. Und es kommen viele zu uns, denn wir haben als einzige Mitarbeiter im Gefängnis das absolute Zeugnisverweigerungsrecht, das durch das Beichtgeheimnis geschützt ist. Polizei und Staatsanwaltschaft dürfen aus unseren Gesprächen nichts verwenden und wir sind gehalten, zu schweigen, über alles, was uns Gefangene erzählen.
Zischup: Wenn Sie die Chance hätten, einen neuen Beruf zu wählen, würden sie dann einen anderen wählen?
Higel: Nein, Pfarrer sein ist ein schöner und spannender Beruf, man begleitet die Menschen von der Geburt bis zum Tod. Ich arbeite auch gerne im Gefängnis, weil man dort spürt, wie zerbrechlich unser aller Leben ist und wie schnell man selbst in eine solche Situation kommen kann. Es sind alle Berufsgruppen vertreten, die Straftaten begangen haben: Ärzte, Juristen, Pfarrer, Wirtschaftsleute, eben alle. Mit denen auf dem Hintergrund des Evangeliums zu arbeiten, ihnen zu sagen, dass sie neu beginnen können, wer kann das schon?

Ressort: Schülertexte

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