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"Strafe in der Schule ist antiquiert"

  • Mi, 08. August 2001
    Zisch

     

JUZ-INTERVIEW mit der langjährigen Direktorin des Freiburger Rotteck-Gymnasiums über Abistreiche und Abmachungen.

Für einige Aufregung hat der diesjährige Abistreich am Freiburger Rotteck-Gymnasium gesorgt (die JuZ berichtete). Schulleiterin Sybille Bauer fand, die Abiturienten hätten sich nicht an die Abmachungen gehalten und blieb dem Abiball fern. Die Zeugnisse konnten sich die Schulabgänger später am Sekretariat abholen. Für die JuZ sprach Thomas Kiechle mit Sybille Bauer über ihre Sicht der Dinge.

JuZ : Jetzt sind Schulferien. In den vergangenen Wochen war noch mal viel Betrieb bei Ihnen im Sekretariat - warum?
Bauer : Schlusswochen an den Schulen sind die Wochen, mit der höchsten Arbeitsbelastung für Sekretariat, Lehrkräfte und Schulleitung.
JuZ : . . . und viele Abiturienten mussten ihr Zeugnis auf dem Sekretariat abholen. Gab da auch böse Worte seitens der Schulabgänger wegen des Abistreiches?
Bauer : Nein, darüber wurde nicht gesprochen.
JuZ : Wussten die Abiturienten, dass Ihre Androhung, Sie würden dem Abiball fernbleiben, ernst gemeint war?
Bauer : Sie wussten, sie machen selber ernst und sie haben auch mir geglaubt, dass ich ernst mache.
JuZ : Was war überhaupt passiert?
Bauer : Auf einer Vollversammlung des Abschlussjahrgangs im April hatte ich vorgetragen, dass sich Mittelstufenschüler bei mir beschwert haben, dass der Abistreich einen ganzen Schultag kippt. Dass sie sich zum Beispiel auf ihre Mathearbeit vorbereitet haben, dann käme der Abistreich, und dann müssten sie sich noch mal vorbereiten. Ich habe den Abiturienten vorgeschlagen, den Abistreich erst mit der vierten Stunde beginnen zu lassen. Später habe ich dann mit der Gruppe gesprochen, die den Abistreich vorbereitet hat. Sie haben mir mitgeteilt, die Stufe akzeptiere meine Bitte.
JuZ : Hätte man nicht Ausweichtermine für die Klassenarbeiten anbieten können?
Bauer : Die Termine standen ja noch gar nicht fest. Ich hatte die Abiturienten nur gebeten, bei der Terminwahl Rücksicht auf die sogenannten "Schulfremden" zu nehmen, die in dieser Zeit ihr Abitur hier machen. Die Abiturienten schlugen den 29. Juni vor. Der Termin muss übrigens geheim bleiben, denn wenn ihn das Lehrerkollegium kennt, erfahren es alle.
JuZ : Ist ein geplanter Abistreich nicht ohnehin etwas Paradoxes?
Bauer : Ich meine nicht, dass etwas dagegen spricht, wenn die Abiturienten den Termin mit mir und dem Hausmeister absprechen. Es ist doch sinnvoll, nicht noch mehr Stunden ausfallen zu lassen. So hätten an diesem Tag von 189 Schulstunden und 17 Arbeiten wenigstens die Hälfte stattfinden können.
JuZ : Warum eskalierte dann die Situation?
Bauer : Am Abend vor dem Abistreich - nach dem Sommerkonzert - traf ich den Verantwortlichen, der gerade die Musikanlage aufbaute. Das war schon gegen unsere Abmachung. Er versicherte mir aber, dass alles weitere gemäß der Abmachung verlaufen werde; aber es lief schon zur ersten Stunde die Musik.
JuZ : Waren Sie da sauer?
Bauer : Ja, ich war richtig sauer, obwohl es in dieser Situation nicht um mich und meine Gefühle ging: Schließlich steht die Schule im Vordergrund und die Abmachung, die die Abiturienten mit der Schule hatten. Dieser gegenüber hatten sie nicht ihr Wort gehalten.
JuZ : Sie zogen also sofort Konsequenzen?
Bauer : Nein. Ich habe erst das Gespräch mit den Abiturienten gesucht: Eine Gruppe von 15 Schülern traf sich mit mir und ich erfuhr, dass sie sowieso nie vor hatten, sich an die Abmachung zu halten. Ich bat sie, die Musik abzustellen und sich an die Verabredung zu halten. Erst als das nicht geschah, beschloss ich, nicht zur Abiturfeier zu gehen und teilte das den Abiturienten auch mit.
JuZ : Vielleicht wurde den Schülern erst während des Aufbauens bewusst, dass sie nur einen "Abistreich light" bekamen?
Bauer : Das kann sein. Aber wir hatten eine Abmachung. Von jungen Erwachsenen erwarte ich, dass sie wissen, was für Abmachungen sie treffen und dass sie sich daran halten müssen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die bei allem, was Jugendliche tun, applaudieren.
JuZ : Kann man den Menschen Bauer noch von der Pädagogin Bauer trennen?
Bauer : In der Schule können Sie Mensch und Beruf gar nicht trennen. Wie wollen Sie bilden und erziehen, ohne sich als Mensch einzubringen?


"Es ist eine Aufgabe der Erziehung, Jugendlichen ihre Grenzen zu zeigen." Sybille Bauer (Direktorin)

JuZ : Finden Sie auch im nachhinein die Strafe noch angemessen?
Bauer : Die Schule darf sich von Schülerinnen und Schülern nicht alles bieten lassen. Wenn die Abiturienten einen stilvollen Abschied wünschen, müssen sie im Umgang mit der Schule ein Minimum an Stil wahren.
JuZ : Wie gehen Sie jetzt mit der Kritik um?
Bauer : Ich nehme sie zur Kenntnis. Bei manchen Reaktionen frage ich mich, woher das Gift kommt. Ich denke, dass es sich um alte Rechnungen mit der Schule handelt, von der man sich vielleicht mal ungerecht behandelt fühlte.
JuZ : Könnten wegen der schlechten Presse die Anmeldungen zurückgehen?
Bauer : Entscheidend sind das Schulkonzept und der Eindruck, den Lehrkräfte machen. Da brauche ich mir gar keine Sorgen zu machen.
JuZ : Glauben Sie, Jugendliche mit Strafen "bessern" zu müssen?
Bauer : Das Wort Strafe in der Schule ist antiquiert. Es ist aber eine wichtige Aufgabe der Erziehung, dass man Jugendlichen Grenzen zeigt, die nicht überschritten werden dürfen.
JuZ : Wo sehen Sie Ihre Fehler bei dem Verlauf des diesjährigen Abiturstreiches?
Bauer : Wir hätten in der Schule schon längst eine echte Diskussion über den Abistreich beginnen müssen, da uns die Handhabung schon seit Jahren stört.
JuZ : Wie sieht der nächste Abistreich aus?
Bauer : Alle Schulgremien werden jetzt darüber nachdenken, wie sich Abiturienten von der Schule verabschieden können. Die Unzufriedenheit über den Streich ist alt: ohrenbetäubende Musik, Wasserbomben, Lehrerinterview und Abifilm. Schriftliche Abmachungen? Das wäre übertrieben. Ich verlasse mich weiterhin auf das Wort meiner Schüler.

Ressort: Zisch

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