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"Viel Spaß trotz Stress und Hektik"

  • Fr, 27. November 2020
    Zisch-Texte

     

ZISCH-INTERVIEWmit Mattis Haid, der lange Zeit bei der Fernsehserie Lindenstraße als Aufnahmeleiter gearbeitet hat.

Klappe, die zweite: Dafür dass bei Dre... anderem der Aufnahmeleiter zu sorgen.  | Foto: RONALD RAMPSCH
Klappe, die zweite: Dafür dass bei Dreharbeiten alles glatt läuft, hat unter anderem der Aufnahmeleiter zu sorgen. Foto: RONALD RAMPSCH

Zisch-Reporter Ben Probst aus der Klasse 4a der Schneeburgschule in Freiburg hat Mattis Haid interviewt, der einmal Aufnahmeleiter der ARD-Fernsehserie "Lindenstraße" war. Die Serie lief ab 1985 bis März 2020. Haid lebt seit einem Jahr in Freiburg, wo er handwerklich tätig ist. Er ist ein Bekannter von Bens Familie.

Zisch: Was macht ein Aufnahmeleiter?
Haid: Im Bereich der Herstellung von Film und Fernsehserien gibt es viele Berufsrichtungen, zum Beispiel Leute, die für das Lichtkonzept, das Kamera- und Sounddesign zuständig sind. Oder die Abteilungen Szenenbild, Kostümbild und Maskenbild. Um all diese Gewerke miteinander arbeiten lassen zu können, gibt es die Aufnahmeleiter: Der Büro-Aufnahmeleiter bereitet die Drehtage vor und bekommt aus allen Abteilungen Informationen, um einen Tagesarbeitsplan für das Drehteam zu erstellen. Der Set-Aufnahmeleiter steht am Set, so nennt man den Arbeitsplatz, an dem gedreht wird, und sorgt für einen möglichst reibungslosen Drehtag. Er achtet darauf, dass der Drehort bespielbar ist, schafft die Infrastruktur im Umfeld, wie Räume für die Abteilungen Maske und Garderobe und Ruheräume für Schauspieler und Regie. Er organisiert, wo und was es zum Essen gibt, und sogar, dass Toiletten zur Verfügung stehen. Parallel betreut er die Dreharbeiten zusammen mit der Regieassistenz.

Zisch: Wie bist du darauf gekommen, Aufnahmeleiter zu werden?
Haid: Ich war in den 90er-Jahren handwerklich tätig und hatte dann mal keine Lust mehr auf dreckige Finger. Ich kam auf die Idee, mich in einem Filmproduktionsbüro als Praktikant zu bewerben. Es klappte, und nach der Fertigstellung des Projekts, lustigerweise hieß der Film "Mörderische Zwillinge" und meine Lebensgefährtin war damals schwanger mit Zwillingen, wurde die Büro-Aufnahmeleitung danach Produktionsleitung bei der Serie "Unter uns". Sie nahm mich mit und ich arbeitete von da an als Set-Aufnahmeleiter.

Zisch: Wie haben Sie es geschafft, Aufnahmeleiter der Lindenstraße zu werden?
Haid: Nach der Geburt meiner Zwillinge habe ich bei "Unter uns" aufgehört, um Zeit für meine Kinder zu haben. Meine Lebensgefährtin arbeitete zu der Zeit schon bei der "Lindenstraße" und irgendwann wurde eine Fahrerstelle dort frei. Diese nahm ich an und dann war es nur noch eine Frage der Zeit. Als Ersatz bei Erkrankungen sprang ich schon immer mal wieder als Set-Aufnahmeleiter ein und 1999 war es dann soweit. Die Stelle wurde frei und ich übernahm sie.

Zisch: Was war dein lustigstes Erlebnis?
Haid: Es gab sehr viele, denn trotz Stress und Hektik hat man viel Spaß beim Dreh.
Aber ich muss schon sagen, bei den Dreharbeiten für die Serie "Ladykracher" waren Drehtage mit dem Schauspieler Christoph Maria Herbst am lustigsten. Es gibt einen bescheuerten Witz über die Aufnahmeleiter: Was haben ein Aufnahmeleiter und ein Zitronenfalter gemeinsam? Ein Zitronenfalter faltet auch keine Zitronen! Eines Tages standen wir am Set der Lindenstraße und eine der Kinderdarstellerinnen kam in einer Lichtkorrekturpause auf mich zu und fragte mich vor allen Kollegen: "Mattis, was machst du eigentlich hier?" Das Gelächter war groß.

Zisch: Was war das schwierigstes Erlebnis?
Haid: Das Lustigste und das Schwierigste können dicht beieinander liegen. Es geht darum, den sogenannten Spagat zwischen Anforderung und Umsetzbarkeit hinzubekommen: Dreharbeiten an Landstraßen, mit einem Team, das wie freilaufende Hühner herumrennt und dazu noch ohne Drehgenehmigung. Hier hatte die Büro-Aufnahmeleitung ihren Job nicht ganz erledigt. Oder Schauspieler, die vor Lampenfieber ihre Texte vergessen – dadurch verzögert sich alles, und der weitere Verlauf eines Drehtages ist gefährdet und so weiter. Ein Beispiel für die Vereinigung von beidem war, wenn ich zusätzlich zu meinem Job noch für die Tonabteilung eingesprungen bin. Dann arbeitet man mit zwei Kopfhörern und hat auf dem einen das Regieteam und auf dem anderen den aufgenommen Ton und den Sounddesigner.

Zisch: Was ist das Beste am Aufnahmeleiter-Alltag?
Haid: Die Erkenntnis: Jeder Drehtag endet! Egal was passiert. Erwarte das Unerwartete, sei gewappnet. Und: Wenn Dinge schief gehen, schnelle, pragmatische Lösungen zu finden, um den Dreh am Laufen zu halten. Die viele Rennerei spart extra Sport, und die viele frische Luft ist schön, wenn draußen gedreht wird. Auch der menschliche Kontakt.

Zisch: Was ist das Blödeste?
Haid: Dass, wenn alles schnell und gut lief, die Regie gelobt wird, und wenn alles langsamer als geplant lief, der Aufnahmeleiter gefragt wird, woran es den lag.

Zisch: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie erfahren haben, dass Sie Aufnahmeleiter der Lindenstraße werden?
Haid: Ich habe den Laden geliebt und ich war froh, glücklich und sogar stolz, als ich es erfuhr. Es folgten 20 Jahre in einem Beruf, der mir bis zur Einstellung der Serie (fast) immer viel Spaß gemacht hat.

Ressort: Zisch-Texte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 27. November 2020: PDF-Version herunterladen

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