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Selfiewahn und Likegeilheit

  • Do, 17. Mai 2018
    Computer & Medien

FUDDER-INTERVIEW mit der Medienwissenschaftlerin Robin Curtis über Selbstinszenierung in sozialen Medien.

Ein Selfie stellt nicht die Realität d...st Teil des Spiels, sagt Robin Curtis.  | Foto: ilovemayorova
Ein Selfie stellt nicht die Realität dar, im Gegenteil: Die Gestaltung ist Teil des Spiels, sagt Robin Curtis. Foto: ilovemayorova

Das Outfit ist perfekt, zum Frühstück gibt’s einen bunten Smoothie und im Urlaub ist immer schönes Wetter und alle lächeln: Auf Instagram und Facebook inszenieren die meisten Nutzer ihr Leben perfekt. Wieso gibt es diese Welt überhaupt und was bringt sie uns? Marissa Müller hat mit der Freiburger Medienwissenschaftlerin Robin Curtis darüber gesprochen.

Fudder: Frau Curtis, wieso inszenieren wir uns selbst?
Curtis: Menschen sind soziale Wesen, wir sind abhängig von der Unterstützung anderer Menschen. Man weiß zum Beispiel aus Studien, dass je mehr Freunde und Bekannte man hat, desto gesünder ist man, vor allem im Alter. Wir fühlen uns aufgehoben durch unsere Umgebung.

Fudder: Können soziale Netzwerke das leisten?
Curtis: Ich würde nicht unbedingt einen Unterschied machen zwischen der digitalen und der analogen Welt. Mir zum Beispiel ist Facebook total wichtig, weil ich in Kanada groß geworden bin und in Kanada und Deutschland studiert habe. Das heißt, ich habe ein Riesennetzwerk an Freunden, die leider nicht alle hier in Freiburg sind. Das ist auch eine Art Kontakt und eine Bestätigung der eigenen Geschichte.

Fudder: Zeigen wir in den Sozialen Netzwerken jemals unser wahres Ich?
Curtis: Man hat wahrscheinlich schon immer ein Lieblingsbild von sich gehabt. Das heißt, es gibt von jeder Person ein Foto, bei dem sie sich denkt "Das ist ein schönes Foto von mir." Aber das ist ein total willkürlicher Moment. War der Moment auf dem Foto ein echter Moment? Ist dieses Foto das Lieblingsfoto, weil man meint, dass man darauf genauso aussieht, wie man aussieht? Nein, wahrscheinlich nicht. Es ist eher ein vorteilhaftes Bild. Das Verhältnis zum Foto ist schon immer kurios. Was dabei wirklich oder falsch ist, was real oder verfälscht, ist eine komplizierte Frage. Nicht erst seit es Social Media gibt.
Fudder: Auf Social-Media-Plattformen hat man die Möglichkeit, Bilder mit Filtern zu versehen. Was ist noch Realität?
Curtis: Warum sollten wir Fotos auf Social Media nicht als ästhetische Beiträge zum Leben sehen? Man hat zum Beispiel auch nie gesagt: "Also dieser Rembrandt, das ist gar nicht echt! Warum malt er überhaupt?" Die Malerei ist dazu da, um ästhetische Erfahrungen zu liefern und das ist eben nicht Alltagskram. Bei Instagram ist das ähnlich. Die Gestaltung der Bilder ist Teil des Spaßes.

Fudder: Haben wir in der heutigen Zeit den Drang, uns besonders gut präsentieren zu müssen?
Fudder: Insbesondere Frauen haben schon immer einen gewissen Drang verspürt, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine Frau geht aus dem Haus und muss überlegen, ob sie sicher ist und inwiefern sie irgendwelche vermeintliche Fehler macht, die diese Sicherheit angreifen. Das ist etwas, was man als Frau immer im Kopf hat. Das kann man leider nicht wegradieren und die #metoo-Debatte hat das verstärkt zur Schau gestellt.

Fudder: War das früher anders?
Curtis: Ich denke, die Frage des perfekten Lebens müsste man nicht nur online stellen, sondern auch in der Umgebung auf der Welt. Man kann zum Beispiel neue Verhaltensweisen beobachten. Viele fotografieren auf einmal ihr Essen. Hätte man vor nur 15 Jahren in einem Restaurant sein Essen mit einem analogen Fotoapparat fotografiert, wäre das schon sehr auffällig gewesen. Es gibt durch die Anwesenheit von Smartphones eine Veränderung im Verhalten. Wir fühlen uns verpflichtet, unseren Alltag zu dokumentieren. Die gegenteilige Erfahrung haben wir komischerweise in den 80er Jahren in Berlin gemacht, wo es einfach das Allerletzte gewesen wäre, wenn jemand ein Foto gemacht hätte. Das wäre sowas von peinlich gewesen, ein Foto in einer Bar, einem Club, bei Freunden, beim Picknick oder egal wo zu machen. Das "Jetzt alle lächeln!" war ein superspießiger Gestus. Deshalb gibt es auch kaum Dokumente aus der Zeit. Es gab aber auch andere Zeitpunkte in der Geschichte, in denen man genau so sehr die Verpflichtung hatte, Glück darzustellen – alle sitzen am Tisch, haben zu essen und lächeln in die Kamera. Das Perfekte gab es also schon in anderen Kontexten.

Fudder: Welche Auswirkungen hat das?
Curtis: Was wirklich kritisch zu sehen ist, sind die Fotos, die wir mit Social Media einfach so in die Welt stellen. Das Internet hat ein langes Gedächtnis. Das war früher nicht der Fall. Die Familienbilder konnte man selbst editieren. Man konnte den ungeliebten Freund aus dem Familienalbum entfernen, wenn man wollte und kein anderer konnte etwas dagegen machen. Aber das, was online gestellt wird, ist einfach für immer und ewig da.

Fudder: Man teilt Fotos auf Instagram und Facebook auch mit Personen, die man nur flüchtig oder gar nicht kennt. Was bringt das den Nutzern?
Curtis: Das ist so etwas wie eine Ausdrucksform, bei der wir uns alle beteiligen. Man hat Spaß daran, sich mitzuteilen. Und vor allem haben wir auch Spaß an Gestaltung. Menschen sind so. Ich denke, wir beteiligen uns auf diese Weise an Diskussionen und an geteilten Geschmacksfragen. Wir definieren uns darüber, was wir gut und schön finden und empfinden uns dann als Teil einer Gemeinschaft. Man hofft auch, dass die Fotos in der Gruppe geteilt werden, dass Freunde und Bekannte sie liken. Ich finde Likes überhaupt eine total kuriose Sache. Man liked eine total willkürliche Reihenfolge von Sachen. Alles Mögliche – von "Heute kein Regen" – Like, bis hin zu "Salat"– Like. Das ist ein supermerkwürdiges Bild vom Bewusstsein. Wir funktionieren auf eine kuriose Weise so, dass es für uns gewinnbringend ist.

Das gesamte Interview gibt’s auf          fudr.fr/likegeilheit

ZUR PERSON: Robin Curtis

Die Medienwissenschaftlerin, Jahrgang 1964, ist stellvertretende Direktorin des Lehrstuhl für Medienkulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Curtis wurde in Kanada geboren, hat unter anderem in Toronto und Berlin studiert und zum Thema "Situating the Self: Visceral Experience and Anxiety in the German Non-Fictional Autobiographical Film" promoviert. Ihre Habilitiation von 2012 befasst sich mit dem Thema "Filmische Immersion".

Ressort: Computer & Medien

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 17. Mai 2018: PDF-Version herunterladen

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