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Kabarettist im Interview

Jess Jochimsen über den Böhmermann-Skandal und die Folgen

Annemarie Rösch
  • Di, 12. April 2016, 08:00 Uhr
    Deutschland

     

Die Türkei stellt Strafantrag gegen Jan Böhmermann nach dessen Erdogan-Gedicht. Die Bundesregierung will prüfen, ob sie den zulässt. Was meint dazu der Freiburger Kabarettist Jess Jochimsen?

Der Freiburger Kabarettist Jess Jochimsen  | Foto: Wolfgang Grabherr
Der Freiburger Kabarettist Jess Jochimsen Foto: Wolfgang Grabherr
BZ: Herr Jochimsen, wie beurteilen Sie als Kabarettist das Schmähgedicht von Jan Böhmermann. Ist das pure Beleidigung oder Satire?
Jochimsen: Wenn man das Gedicht als solches betrachtet, spielt Böhmermann mit den dümmsten Klischees, so etwas liest man sonst in pubertären oder rechten Foren. Aber Böhmermann ist nicht dumm. Er hat dieses Gedicht in einen Kontext gestellt und in seiner Einleitung vorweggenommen, was passieren wird. So etwas haut man nicht einfach raus. Böhmermann hat ja ein Team aus Redakteuren und Juristen um sich. Da das Gedicht wahnsinnige Beleidigungen enthält, konnten die davon ausgehen, dass es zu einer heftigen Reaktion kommt.

BZ: Reicht Provokation als Mittel der Satire schon aus?
Jochimsen: In diesem Fall sieht man, dass Satire nicht zwingend gut sein muss, um einen Autokraten wie Erdogan zu provozieren. Was die Qualität des Gedichts angeht, so hat Springer-Chef Mathias Döpfner es als "großes Kunstwerk" geadelt. Ein vernichtendes Urteil. Aber man muss Jan Böhmermann hoch anrechnen, dass er ein gutes Gespür dafür hat, einen Scoop zu landen, einen Skandal zu produzieren. Und manchmal zeigt sich der Erkenntniswert von Satire eben auch im Rabatz, der folgt. Die Diskussion, die Wellen, die das Schmähgedicht schlägt, sind sein Erfolg. Das ist Böhmermann bestens gelungen.

BZ: Vonseiten älterer Satiriker war schon zu hören, dass die jungen Kollegen oft zu platt sind. Wie sehen Sie das?
Jochimsen: Es war doch schon immer so, dass die Altvorderen das kritisiert haben, was die Jüngeren machen. Auch früher gab es schon Satire, die platt war. Und ein anderes Mal sagte man: Wow. Mal gelingt Satire und ein anderes Mal eben nicht.

"Die Bundesregierung sagt jetzt: Wir prüfen das. Dann wird die Geschichte vermutlich verschleppt und auf Ebene der Ministerial-Bürokratie in Deutschland und der Türkei diskutiert."
BZ: Beeinträchtigt die Tatsachen, dass die Bundesregierung nun prüft, ob sie eine Strafverfolgung zulassen will, Ihre Arbeit als Kabarettist?
Jochimsen: Überhaupt nicht. Ich denke auch, dass sich andere Kollegen nicht einschüchtern lassen. Die Bundesregierung sagt jetzt: Wir prüfen das. Dann wird die Geschichte vermutlich verschleppt und auf Ebene der Ministerial-Bürokratie in Deutschland und der Türkei diskutiert. Ich bin überzeugt, dass es zu keinen strafrechtlichen Konsequenzen für Böhmermann kommen wird, zumal Regierungssprecher Steffen Seibert jetzt betont hat, dass die Meinungsfreiheit nicht verhandelbar ist. Wer hätte das gedacht?

BZ: Jan Böhmermann scheint die Kritik allerdings zugesetzt zu haben. Zur Verleihung des Grimme-Preises kam er jedenfalls nicht.
Jochimsen: Wie gesagt, er wusste, dass es zu einem Skandal kommt. Und er wird ihn aushalten können. Vielleicht wusste Böhmermann aber nicht so ganz, wo genau die Wellen anbranden werden. Ich denke, dass er sich nun herausgenommen hat und erst einmal abwartet, bevor er reagiert. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich irgendwann in einer Sendung ironisch bei Erdogan entschuldigt. Er wird sich schon etwas einfallen lassen.

Jess Jochimsen wurde 1970 in München geboren. Er studierte in Freiburg Germanistik, Politik und Philosophie. Seit 1992 tritt er als Kabarettist auf.

Sonderform der Beleidigung

Die "Beleidigung von Vertretern und Organen ausländischer Staaten" wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. So steht es im Strafgesetzbuch (§ 103). Es handelt sich um eine Sonderform der Beleidigung, die schwerer bestraft wird. Bei einer normalen Beleidigung droht nur eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Eine Anklage ist nur möglich, wenn ein "Strafverlangen" der ausländischen Regierung sowie eine "Ermächtigung" der Bundesregierung vorliegen (§ 104a). Beides sind rein politische Entscheidungen. Sie machen den Weg zur Strafverfolgung frei, binden aber nicht die Justiz.

Im Kern geht es also um eine Beleidigung. Darunter versteht die Rechtsprechung eine "Verletzung der Ehre durch Kundgabe der Missachtung". Die Äußerung sachlicher Kritik gilt dabei als "Wahrnehmung berechtigter Interessen" (§ 193) und ist nie strafbar – selbst wenn dadurch der gute Ruf des Kritisierten leidet.

Strafbar ist jedoch eine Schmähkritik, bei der die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Satire darf als Kunstform zwar überzeichnen. Doch auch hier sind Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde des Betroffenen zu beachten. Es dürfte Böhmermann nichts nutzen, dass er sein "Schmähgedicht" ausdrücklich als Beispiel für verbotenes Verhalten eingeführt hat. Dafür hätte eine Zeile genügt, Böhmermann aber präsentierte sechs ausgefeilte Strophen. Sollte es zum Prozess kommen, muss er allenfalls mit einer Geldstrafe rechnen.

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Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 12. April 2016: PDF-Version herunterladen

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