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Der Gummiunfall

  • Fr, 24. Februar 2017
    Literatur & Vorträge

Gudrun Skretting hat einen Jugendroman über die frühe Pubertät geschrieben.

Lange Zeit nimmt man als Kind das Leben mehr oder weniger einfach so hin. Es ist nicht alles schön, aber so wie es ist, ist es eben. Oben Sonne, Mond und Sterne, unten die Kinder mit der Laterne. Dann ist da plötzlich ein Riss. Das kann ein ganz kleiner sein. Bei Anton war es ein Riss im Fahrradschlauch, und alles war auf einmal anders. Denn während Anton nichtsahnend mit dem Flicken beschäftigt war, sagte sein Papa: "So ein kleiner Riss im Gummi kann schon unerwartete Folgen haben."

Die "unerwartete Folge" war Anton, und mit diesem einen Satz hat sein Vater ihn aus der Sphäre der kindlichen Gewissheit vertrieben und in das Reich des unwillkommenen Wissens katapultiert. Jetzt wusste Anton, was er gar nicht wissen wollte, nämlich wie seine Eltern verhütet hatten, und dass er, was er noch viel weniger wissen wollte, ein Gummiunfall war. Plötzlich war die ganze Welt, wie Anton sie kannte, eine Verkettung von Unfällen: der Kondomunfall, der Bus, der seine Mutter überfahren hatte – im Grunde war Anton im Kleinen das gleiche widerfahren wie dem Sonnensystem im Großen. Da donnerte ein Planet namens Theia mit der Erde zusammen, und in der Folge ist Theia weg, ein Mond entstanden und die Erdachse steht schief. Willkommen in der Wirklichkeit.

Ist man ins Reich des Wissens eingetreten, sieht die Welt insgesamt gleich anders aus. Bisher war Anton gar nicht aufgefallen, dass seine und Papas Jungesellenwirtschaft auf weibliche Wesen möglicherweise wenig einladend wirkt. Allein der Gedanke, einladend auf weibliche Wesen wirken zu wollen, wäre ihm zuvor nie gekommen. Aber als Gummiunfall sieht man klarer. Zum Beispiel, dass das Leben seines Vaters nach dem Zusammenprall von Mama und Bus aus dem Lot geraten ist und genauso schief steht wie die Erdachse. Deshalb fasst Anton einen Plan: Höchste Zeit, die Welt des Vaters wieder geradezurücken.

Also fragt er Ine, ob sie seinen Vater toll findet. Ine ist seine beste Freundin, geht mit ihm in die siebte Klasse und hat ihm das Schulleben gerettet. Wenn jemand helfen kann, eine Frau für Papa zu finden, dann sie. Und eine Frau muss her, um Papa wieder geradezurücken. Aber auch Ine steht vor den Scherben ihrer scheinbar heilen, wohlhabend behüteten Welt. Werden sich ihre Eltern trennen? Und überhaupt: Was ist das eigentlich mit dieser Freundschaft zwischen Jungen und Mädchen? Ist Anton etwa verliebt in Ine?

Spürbar vergnügt weidet sich Autorin Gudrun Skretting in ihrem ersten Jugendbuch an der männlichen Perspektive auf Beziehungskram, Alltagsbewältigung und den Übergang von der Kindheit in die Pubertät. Mit Esprit, streckenweise ungeheurer Komik und viel Gefühl lässt sie die Frauensuche für den Vater, das Jungs-Mädel-Ding im letzten Grundschuljahr und diese Mischung aus Abschied von der Kindheit und Aufbruch ins Neue kunstvoll eskalieren. Ein auf lustige und angenehme Art kitschiges Buch, dass wie eine leichte Komödie mit Ben Stiller und Cameron Diaz als Zwölfjährige daherkommt.

Gudrun Skretting: Mein Vater, das Kondom und andere nicht ganz dichte Sachen. Roman. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Carlsen Verlag 2017. 256 Seiten, 14,99 Euro. Ab 12.

Ressort: Literatur & Vorträge

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 24. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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