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Afrika

Agrarexperte macht Entdeckung, die vor Trockenheit retten könnte

Johannes Dieterich
  • Fr, 29. April 2016
    Ausland

     

Der Agrarexperte Tony Rinaudo hat in Afrika eine Entdeckung gemacht, die Millionen Hektar Land vor der Trockenheit retten könnte.

Verdurstet eine tote Kuh Foto: Dieterich
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Hier könnte man ohne Weiteres "Heidi" filmen. Der Wildbach plätschert lustig vor sich hin. Glücklich mampfen die Kühe das saftige Gras. Das Kinn auf seinen Stock gestützt blickt der Hirtenjunge verträumt ins Tal. Nur die dunkle Haut des Knaben lässt ahnen, dass hier nicht Heidis Heimat ist. Und zwei runde Grashütten verraten vollends, dass sich diese Postkartenidylle auf einem ganz anderen Kontinent als dem europäischen abspielt. Wir befinden uns in Afrika, genauer gesagt in den Bergen nahe der südäthiopischen Stadt Sodo.

"Wenn Sie vor zehn Jahren hier gewesen wären, würden Sie noch viel mehr staunen", sagt Tony Rinaudo. Der freundliche australische Agrarexperte scheint vor Glück zu platzen: Als der Melbourner im Jahr 2006 zum ersten Mal nach Sodo kam, sahen die Berge noch wie nach einer Naturkatastrophe aus. Statt von Bäumen und Gras war die Landschaft damals höchstens von stacheligen Büschen und Kriechpflanzen bedeckt, die Erosion hatte tiefe Furchen in die Abhänge gerissen, und immer wieder stürzten Erdlawinen ins Tal, die zuweilen auch einige der afrikanischen Hütten mit sich rissen. Einmal wurde eine fünfköpfige Familie unter den Erdmassen begraben.

In jener Zeit waren die Menschen in der Region Sodo noch auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen – genau wie im 50 Kilometer weiter südwestlich gelegenen Dörfchen Humbo, dessen Hausberg dem nackten Buckel eines Nilpferds glich. Tony Rinaudo war damals von der Hilfsorganisation World Vision nach Humbo geschickt worden, um eine der letzten noch fließenden Quellen einzufassen. Doch der Agrarexperte sah schnell, dass die dortige Bevölkerung ein wesentlich größeres Problem als die nichteingefasste Quelle hatte. Mit dem ständigen Abholzen der Bäume und dem Übergrasen der Weiden hatte sie ihre eigene Lebensgrundlage zerstört.

Tony Rinaudo kannte ein ähnliches Problem von einem anderen Ort. 1980 war der australische Wald- und Wiesenfachmann von einer Mission in den westafrikanischen Staat Niger gesandt worden: Er sollte die sich ständig weiter ausdehnende Wüste aufhalten. Rinaudo pflanzte jahrelang unzählige Bäumchen, die jedoch alle nach kürzester Zeit wieder verdorrten. "Ich war verzweifelt und wollte nach Australien zurück", erinnert sich der Missionar: "Ich betete zu Gott, dass er mich hier rausholen oder mir helfen solle." Als Rinaudo wenig später die kümmerlichen Pflänzchen in der Halbwüste genauer studierte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Bei den grünen Tupfern in der öden Landschaft handelte es sich nicht, wie er bisher angenommen hatte, um irgendein Kraut, sondern um die Triebe früher gefällter Bäume, die im Boden unter dem heißen Halbwüstensand ein ganzes Geflecht an Wurzeln hinterlassen hatten. Der zerstörte Wald war gewissermaßen in den Untergrund abgetaucht. Nach jedem Regen schlug das Wurzelgeflecht zwar Triebe, die aber sofort wieder vom hungrigen Vieh verschlungen wurden: Nie konnten die Sprösslinge zu richtigen Bäumen heranwachsen. Rinaudo erkannte, dass man den Wurzeltrieben nur eine Chance geben und die heranwachsenden Büsche zu Bäumen beschneiden musste: Neue Bäume zu pflanzen war überflüssig.

Tony Rinaudos Entdeckung könnte für Afrika bedeutender als Milliarden von Dollar an Entwicklungshilfe werden. Kein Erdteil hat mehr Bäume verloren als der afrikanische: Äthiopien büßte in den vergangenen 50 Jahren 98 Prozent seines Waldes ein. Und das, wo Bäume die zweifellos wichtigsten Hüter der Erde sind: Sie wirken der Erosion entgegen, absorbieren Regenwasser, halten Feuchtigkeit im Boden, spenden Schatten und manche von ihnen geben ganz nebenbei sogar noch düngenden Stickstoff ab. Mit Rinaudos Entdeckung könnten Millionen von Hektar Land, die von übermäßiger Beanspruchung zerstört vor sich hinvegetieren, wieder in fruchtbaren Boden, saftige Weiden und intakte Wälder verwandelt werden, und das alles praktisch zum Nulltarif. Mit ihr könnte auch den Folgen der Klimaerwärmung begegnet werden, die Afrika wie keinen anderen Kontinent der Welt in Mitleidenschaft zieht. Das alles ahnte der heute 58-Jährige damals allerdings noch nicht.

Zunächst musste Rinaudo die nigrische Regierung davon überzeugen, die Bäume nicht länger als Staatseigentum in Anspruch zu nehmen, sondern zum Besitz der Bevölkerung zu erklären – auf diese Weise würden die Nigrer achtsamer mit ihren Schätzen umgehen. Bislang hatten sie ihre spärlichen Wäldchen zu Feuerholz zerkleinert und zu Holzkohle verarbeitet: "Man hat immer nur von der Natur genommen, ihr aber nie etwas zurückgegeben", sagt der Agrarwissenschaftler.

Als Nächstes musste Rinaudo beweisen, dass seine These auch der Praxis standhielt. Er zäunte ein Versuchsareal ab, um das Vieh draußen zu halten, und schnippelte die langsam heranwachsenden Büsche geduldig zu Bäumen zurecht. Schon wenige Jahre später war aus dem öden Versuchsfeld ein spärlich bewachsenes Wäldchen geworden – und heute stehen in der von Rinaudo betreuten Region im Niger auf jedem Hektar 45 statt lediglich vier Bäumchen. Insgesamt ist die Zahl der Bodenschützer von fünf Millionen auf heute 200 Millionen in die Höhe geschossen.

Wenn es im Halbwüstenland Niger funktioniert hat, dann wird es auch im klimatisch wesentlich freundlicheren Süden von Äthiopien klappen, wagte Rinaudo zu hoffen. Er musste nur die Bevölkerung von Humbo für sein Vorhaben gewinnen – und auf dem nackten Nilpferdbuckel würden wieder Wäldchen wachsen. Das stellte sich allerdings wesentlich komplizierter als erwartet heraus, denn die Leute von Humbo begegneten dem besserwisserischen Fremden mit blankem Argwohn. Sie hielten ihn für einen Scharlatan, der es in Wahrheit auf ihr Land abgesehen habe. So musste sich Rinaudo zunächst mit einer Handvoll Getreuer in einer einzigen Kooperative begnügen – heute ist sie eine von sieben Kooperativen und hat mehr als fünftausend Mitglieder.

Zu seinen ersten Verbündeten zählte Katmar Anato, dessen direkt am Fuß des Nilpferdbuckels gelegene Farm immer wieder von Erdlawinen überrollt wurde – in solchen Fällen war zumindest seine Ernte dahin. Anato hatte außer den verhängnisvollen Erdlawinen also nichts zu verlieren und war bereit, Rinaudo eine Chance einzuräumen. Wie effektiv der Australier diese nutzen würde, hätte sich der Landwirt damals nicht träumen lassen.

Nicht nur, dass von den inzwischen wieder mit Bäumchen bewachsenen Hängen keine Lawinen mehr herabdonnern. Auch die Temperatur habe sich verändert, sagt Anato: "Man hat das Gefühl, hier in einem Kühlschrank zu sitzen." Mit seinen Fruchtbäumen, den Kaffeebüschen und Maisstauden sieht das hinter dem kleinen Farmhaus gelegene Gut des Bauern wie ein grünes Paradies aus: Und das, obwohl es in diesem Jahr so wenig wie schon seit Jahren nicht mehr geregnet hat. In Humbo scheint die Hitze jedoch wesentlich weniger Schaden als im Umland anzurichten. Rinaudos Messungen haben ergeben, dass die Bodentemperatur unter einem Baum selbst in der Mittagshitze bei rund 36 Grad verharrt, während sie auf dem freien Feld bis auf 71 Grad ansteigt. Vermutlich wirke sich der Baumbestand auch aufs Mikroklima aus, so der Agrarexperte.

Humbos Kooperativen haben derzeit 30 Tonnen Mais in ihrem Speicher gebunkert, während das Umland wieder einmal auf Lebensmittelhilfe angewiesen ist. Vor 20 Jahren hing auch Humbo noch am Tropf der Nahrungsmittelhilfe: Vor zwei Jahren hat das Dorf jedoch 100 Tonnen seiner Maisüberschüsse an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen verkauft. "Wir sind vom Hilfsempfänger zur Kornkammer geworden", sagt Rinaudo: "Kann einem Entwicklungsprojekt etwas Besseres passieren?"

Für die einstigen Skeptiker des Projekts – allen voran die Köhler, die nicht ohne Grund ihre Einnahmequelle gefährdet sahen – ließ sich der australische Entwicklungshelfer und sein äthiopisches Gegenüber Kebede Asafa zu Beginn des Projekts etwas Besonderes einfallen. Sie boten den Holzbrennern eine alternative Berufsausbildung an: Einige wurden zu Frisörinnen, andere zu Schneidern umgelernt und mit einem kleinen Salon beziehungsweise einer Nähmaschine ausgerüstet. Mit seiner Schneiderei verdiene er heute deutlich mehr als zuvor, sagt der 24-jährige Wadu Henok: "Und es macht mir auch mehr Spaß."

Bald stellte die Bevölkerung des Distrikts fest, dass sie von einer intakten Umwelt besser als von einer zerstörten profitieren konnten. Umsichtig vorgegangen kann aus den geschützten Wäldchen heute mehr Holz geschlagen werden als vom kahlgeschlagenen Nilpferdrücken. Asafa und Rinaudo zeigten den einheimischen Bauern außerdem bessere Anbaumethoden. Und schließlich führten sie neue "Cash-Produkte" wie Apfelbäumchen oder gar Bienen ein, deren Honig auf dem Exportmarkt zehn US-Dollar das Kilo einbringt. "Das wollten die Leute hier zuerst gar nicht glauben", erinnert sich Asafa.

Schließlich wurde auch der letzte Widerstand gebrochen, als die Bewohner Humbos vom "Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung", dem CDM, erfuhren, dem in Kyoto vereinbarten Finanzausgleich zwischen industriellen Umweltsündern und Öko-Initiativen aus der Dritten Welt. Unternehmen aus den Industriestaaten, die die Atmosphäre mit ungebührlichen Mengen an Kohlenwasserstoffen belasten, können ihr Vergehen mit Zahlungen an Projekten in Entwicklungsländern ausgleichen, die etwa zur Wiederaufforstung und damit zur Säuberung der Luft beitragen. Seit 2010 streichen die sieben Kooperativen in Humbo jährlich zwischen 35 000 und 70 000 US-Dollar ein – für hiesige Verhältnisse gigantische Summen. Das Geld wurde in einen Getreidespeicher, eine Maismühle und Bewässerungsanlagen investiert. Allerdings wird Kebede Asafa derzeit auch von einer Sorge umgetrieben. In den neu entstandenen Wäldchen tummeln sich immer mehr wilde Tiere: Hyänen und Leoparden, die die Viehbesitzer auf die Palme bringen; Stachelschweine und Affen, die die Ackerbauern verärgern. "Wir haben schon schlimmere Probleme gelöst", sucht Rinaudo seinen äthiopischen Freund zu beruhigen.

Inzwischen tritt die Methode des Australiers – die "Farmer Managed Natural Regeneration" (FMNR), wie sie unter Fachleuten genannt wird – einen Siegeszug über Afrika an. World Vision veranstaltete in den zurückliegenden Jahren Konferenzen in Malawi und Kenia, zu denen Interessierte aus zahlreichen afrikanischen Staaten kamen. Mittlerweile wird FMNR in mehr als 15 Staaten des Kontinents ausprobiert.

Wie entstehen Wüsten?

In manchen Gebieten der Erde gibt es weite Landschaften, auf denen fast oder gar keine Pflanzen wachsen. Solche Gebiete werden Wüsten genannt. Wie entsteht eine Wüste? Erklär’s mir!

Sie entstehen bei extremer Trockenheit oder extremer Kälte. In Regionen, in denen es sehr heiß ist und so gut wie gar nicht regnet, entstehen Trockenwüsten, beispielsweise in Afrika. Die Trockenheit verhindert, dass dort Pflanzen wachsen können. Zu den Trockenwüsten gehört etwa die Sahara.

In extrem kalten Regionen entstehen aber auch sogenannte Kältewüsten. Dort ist der Boden das ganze Jahr über gefroren und die Lufttemperatur so kalt, dass Pflanzen so gut wie keine Chance haben. Es gibt sie in polaren Gebieten und im Hochgebirge. Aber auch der Mensch kann Wüsten verursachen. Wenn er sein Vieh dort weiden lässt, wo ohnehin kaum etwas wächst oder Wald abholzt, wodurch der Boden an Feuchtigkeit verliert. So breiten sich die Wüsten weiter aus.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 29. April 2016: PDF-Version herunterladen

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