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Eine klingende Augenweide

Johannes Adam
  • Fr, 17. Februar 2017
    Klassik

Die Marienorgel, Hauptorgel des Freiburger Münsters, wird derzeit renoviert / Neue Chororgel ist in Planung.

Achtung, Baustelle: die eingerüstete Marienorgel Foto: thomas Kunz
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Orgeln sind wie Menschen: Sie bedürfen der kontinuierlichen Pflege. Im Freiburger Münster ist aktuell die große Marienorgel an der Reihe, die Hauptorgel vorne links. Sie bleibt derzeit stumm. Eine Abtrennung in der Vierung signalisiert: Achtung, Baustelle! Und das seit Mitte Januar. Vor dem Instrument ragt ein glänzendes Gerüst steil in die Höhe. Alle Pfeifen müssen raus. Die Orgelbauer – vor Ort sind deren fünf tätig – sprechen von Ausreinigen. Von Zeit zu Zeit ist dies erforderlich. Grund: Der Schmutz muss beseitigt werden. An der Marienorgel geschah das zuletzt 2000/2001.

Die Verschmutzung aber sei bereits wieder so stark, als wäre 40 Jahre lang am Instrument diesbezüglich nichts unternommen worden, referiert Freiburgs Domorganist Matthias Maierhofer den Befund der Orgelbauer. Jährlich hat das Münster mehr als eine Million Besucher. Staub, Hautpartikel und natürlich der Kerzenruß hinterlassen Spuren. Dreck macht störanfällig. Fürs Wohl der Marienorgel hat sich die (inzwischen glücklicherweise wieder geschlossene) Pforte der Barmherzigkeit, das Nordportal im Querhaus, eher als unbarmherzig erwiesen – Temperaturschwankungen! Das Klangbild des farbenreichen Instruments ist stumpf und matt geworden, es bedarf der Aufhübschung. Und die komplexe Technik der Wartung. Zudem geht es um Sicherheitsaspekte.

Die umfangreichen Arbeiten liegen im Zeitplan und sollen bis Ostern beendet sein. Mit der Maßnahme betraut wurde die in Schwarzach (Vorarlberg) ansässige Werkstatt Rieger, die das um 30 Grad zur Gemeinde hin gedrehte Schleifladen-Instrument 1965 gebaut hatte. Jene herrliche, von Jakob Schmidt entworfene Klangskulptur in neun massiven Eichenholztürmen, deren optische Schönheit nach wie vor eine Augenweide ist. Ein Referenzinstrument der 60er Jahre.

Wer die Akteure beobachtet, dem wird rasch klar: Orgelbauer sind sehr sorgfältige Leute. In Reih und Glied liegen die entnommenen Pfeifen nebeneinander. Jede einzelne muss in die Hand genommen und gereinigt werden. Der Blick ins Innere dieser Orgel dokumentiert primär eines: drangvolle Enge. Jeder Quadratzentimeter wird genutzt. Die Marienorgel besitzt 62 Register. "40 Stimmen wären ansehnlicher, zugänglicher und wirksamer gewesen, aber es ist immer leicht, nach der Predigt weise zu sein", kommentierte der Erbauer Josef von Glatter-Götz damals launig. Aber: Die Firma hatte eben einen Auftrag, den es zu erfüllen galt.

Die Spielanlage ist mitten in der Orgel. Die gebaut ist nach Prinzipien des Dom Bédos de Celles, dieses französischen Benediktinermönchs, der 1766–78 das bis dahin beste Orgelbau-Lehrbuch kreiert hatte. Im Kern ist die Marienorgel eine Barockorgel, in die Gedankengut aus der sogenannten Orgelbewegung eingeflossen ist – jener nach 1900 im deutschen Orgelbau beginnenden Initiative, die ein Zurück zu barocken Ideen anstrebte. Später gab es in dieser Orgel Klangmodifikationen. So hat man 1990, unter Domorganist Ludwig Doerr, ein unverzichtbares Krummhorn integriert. In der Amtszeit Klemens Schnorrs wurden, auch das ein kluger Schachzug, extreme Klangspitzen durch weiche Streicher ersetzt: für das den eher romantikfeindlichen 60er Jahren entstammende viermanualige Instrument post festum eine nachhaltige Ertüchtigung in Richtung Romantik.

Musikalische Qualität für Liturgie und Konzert

Beim Fundus der Register – die Orgelbauer reden da von Disposition – wird nichts geändert. Die laufende Aktion impliziert, so Domorganist Maierhofer, "Reinigung, Wartung und Stimmung". 120 000 Euro waren veranschlagt, jetzt werden es, wie Jan Kühle vom zuständigen Münsterfabrikfonds schätzt, "20 000 bis 30 000 Euro mehr". Mit ein Grund: Die Magnete, die den Wind, also die Luft, welche den Ton erzeugt, in die Pfeifen strömen lassen, müssen, da verschlissen, ausgetauscht werden. Denn: Die Marienorgel mit ihren kupfernen Girlanden über den Pfeifenenden hat eine Doppeltraktur. Das heißt: Der Organist kann oben in luftiger Höhe spielen, indem der Kontakt von der Taste zur Pfeife direkt auf mechanischem Weg erfolgt. Vom rechts neben dem Zelebrationsaltar platzierten Hauptspieltisch ist das Instrument überdies elektrisch bedienbar, wobei der Luftstrom dann mit Elektromagneten geregelt wird. Die Marienorgel füllt den Kirchenraum mit Klang und trägt wesentlich den Gemeindegesang. Zur Zeit allerdings präsentiert sich das münstereigene Orgelquartett notgedrungen nur als Torso.

In diesen Wochen muss Münsterorganist Jörg Josef Schwab, etwa in der Sonntagvorabendmesse, mehr auf die Schwalbennestorgel zurückgreifen. Bei der Liedbegleitung, auch beim Literaturspiel. So erklang jetzt am Ende des Gottesdienstes Bachs C-Dur-Toccata quasi per Fernsteuerung vom elektrischen Hauptspieltisch aus an der Langschifforgel (Schwalbennest). Und, zur Kommunionausteilung, die meditative Adagio-Mitte des Werks grundstimmig auf warmer Prinzipalbasis. Die der Messe vorausgehende Vesper im Hochchor schloss indes romantisch mit der Finalfuge aus Mendelssohns c-Moll-Sonate: Da vernahm man, ein wenig aus der Ferne, die kaum sichtbare Chororgel, deren Tage gleichwohl gezählt sind. Sie wird – die Entscheider favorisierten den scharfen Schnitt – komplett verkauft und durch einen Neubau ersetzt.

Die Planungsphase hierfür läuft; fünf renommierte Orgelbaufirmen wurden ihrerseits um Konzepte gebeten. Die neue Chororgel, die, wie die bisherige, ohne eigene mechanische Spielanlage bleibt, soll insgesamt mehr bringen als das alte, oft nur mit Fernwerk-Effekten nutzbare 25-Register-Exemplar. So wird die neue Orgel ein – fürs Münster längst überfälliges – Klarinettenregister erhalten. Doch all das dauert noch ein Weilchen.

Nun ist die Marienorgel dran, die auch gänzlich neu verkabelt wird. Bald wird Ekkehard Fehl als Intonateur zur Tat schreiten und den Pfeifen klanglich den ausgleichenden Feinschliff geben. Fehl ist fit: Bei der Renovierung der Klais-Orgel von 1962 in der Pfarrkirche St. Barbara in Freiburg-Littenweiler und 2015 beim Neubau der von Rieger gelieferten Chororgel in der Barockkirche der Schwarzwaldgemeinde St. Peter hat er beste Arbeit geleistet. Finanziert wird die Ausreinigung im Münster zum großen Teil aus Spenden und Rücklagen. Letztere resultieren unter anderem, wie Jan Kühle berichtet, aus den Einnahmen der gut besuchten sommerlichen Orgelkonzerte.

Moderner Hauptspieltisch vorn, prächtige Michaelsorgel auf der Westempore über dem Hauptportal, feinfühlig renovierte Schwalbennestorgel, aktuell in der Ausreinigung befindliche Marienorgel, geplante neue Chororgel: Das Freiburger Münster, die gotische Kathedrale des zweitgrößten deutschen Bistums, besitzt schon jetzt eine einmalige Orgelanlage. Im Zentrum steht dabei musikalische Qualität. Für Gottesdienst und Konzert, für Liturgie und Kultur.

Spendenkonto:
Münsterfabrikfonds
IBAN: DE64600501017438500649
Stichwort: "Marienorgel"

Ressort: Klassik

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 17. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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