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Aus der Wirtschaft in den Schuldienst

  • Christine Frischke (dpa)

  • Fr, 16. Februar 2018
    Südwest

In Baden-Württemberg stehen an den beruflichen Schulen Direkteinsteiger ohne Lehrerausbildung vor den Klassen.

Mit 37 Jahren begann Rüdiger Bergs zweites Leben. So nennt er es selbst, wenn er von der Zeit vor sieben Jahren erzählt, als er sich mit einem Haufen Bücher in einer Dachkammer verkroch. Dort paukte er, der jahrelang als Software-Entwickler gearbeitet hatte, Didaktik und Schulrecht. Berg hatte beschlossen, seinen alten Job an den Nagel zu hängen und Lehrer zu werden. Als er das erste Mal vor einer Klasse stand, zitterten ihm die Knie.

Berg, heute 44, hatte weder Lehramt studiert noch ein Referendariat gemacht. Er hatte sich an der "it.schule" in Stuttgart als Quereinsteiger beworben. Die gewerbliche und kaufmännische Schule ist auf Informationstechniken spezialisiert. Seine Fachkenntnisse waren hier begehrt.

Dass jemand wie er überhaupt unterrichten durfte, hat Berg dem Lehrermangel zu verdanken. Bundesweit treten immer mehr Quereinsteiger den Schuldienst an. In Baden-Württemberg ist dies derzeit aber nur an beruflichen Schulen und in Fächern mit besonders großem Lehrermangel möglich. In Bergs Fall waren es Informatik und System- und Informationstechnik. In Ausnahmen dürfen Quereinsteiger auch an Gymnasien Physik unterrichten.

Im Südwesten wird zwischen zwei Formen des Quereinstiegs unterschieden: Es gibt Seiteneinsteiger, die erst ihr Referendariat nachholen, bevor sie unterrichten. Und es gibt Direkteinsteiger wie Berg, die sofort ins kalte Wasser geworfen werden. 150 solcher Direkteinsteiger wurden dieses Schuljahr eingestellt.

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sieht viele Vorteile von Seiteneinsteigern: "Von deren Kenntnissen können die Schüler unmittelbar profitieren, gerade weil sie den Hintergrund einer Berufsausbildung, eines Ingenieurstudiums und der praktischen Erfahrung aus dem beruflichen Alltag mitbringen", sagt sie.

Während Berg bereits unterrichtete, machte er berufsbegleitend sein Referendariat. Nach drei Jahren und bestandener Prüfung konnte er so sogar verbeamtet werden. "Mein Leben hat sich komplett verändert", sagt er. "Früher in der Industrie arbeitete ich an drei bis vier Großbaustellen, hier an der Schule sind es gefühlt über 100 Kleinbaustellen."

Seine Berufserfahrung will er keinesfalls missen. "Die Schüler profitieren von uns, weil wir wissen, was in der Praxis gebraucht wird", sagt Berg. Das sieht Schulleiter Florian Leopold ähnlich. "Der Direkteinstieg ist ein Erfolgsmodell", betont er. Seit Jahren mache man gute Erfahrungen mit Lehrkräften aus der Praxis. 28 der 75 Lehrer seiner Schule sind als Direkteinsteiger gekommen. Allerdings: Fachkräfte zu bekommen, wird immer schwieriger. Brummt die Wirtschaft, schrumpfen die Bewerberzahlen.

Berg macht kein Geheimnis daraus, dass er in der Industrie besser verdient hat. Um überhaupt noch Bewerber für die Berufsschulen zu finden, lockt das Kultusministerium zum Teil mit Zulagen zum Tarifentgelt. Geld ist aber nicht alles: Berg betont, dass er seinen Jobwechsel keine Sekunde bereut habe. "Meine Berufung habe ich erst als Lehrer gefunden."

Ressort: Südwest

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