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Knochenjob

In Freiburg traf sich die Fleischerjugend zum Wettbewerb

Christian Engel
  • Do, 24. November 2016, 09:23 Uhr
    Südwest

Fleischgeruch am Morgen, fettige Hände, spottende Freunde, darauf haben viele Jugendliche keine Lust – manche schon: ein Besuch beim Fleischerwettstreit in Freiburg.

„Ich brauche Bewegung, muss etwa...“: Fleischerin Leonie Baumeister  | Foto: Christian Engel
„Ich brauche Bewegung, muss etwas mit den Händen schaffen“: Fleischerin Leonie Baumeister Foto: Christian Engel
Das Fleisch will nicht vom Knochen. Leonie Baumeister presst die Lippen zusammen. Ihre linke Hand mit dem Stahlhandschuh greift tief in das Rindfleisch, die rechte zerrt am Knochen. Adern zeichnen sich auf ihrem Unterarm ab, die Oberarme zittern. Das Roastbeef löst sich nicht, es ist wirklich ein Knochenjob. Mit einem Messer versucht sie zwischen Haut und Knochen zu kommen. Schließlich hilft nur noch das Beil. Nach ein paar Schlägen ergibt sich der Knochen, er ist lose.

Leonie Baumeister ist Fleischerin. Im Sommer hat sie eine dreijährige Ausbildung im elterlichen Betrieb im Kraichgau beendet. An diesem Morgen nimmt sie am Bundeswettbewerb für Nachwuchsfleischer teil. In der Gertrud-Luckner-Gewerbeschule in Freiburg versammeln sich die Sieger der teilnehmenden Bundesländer. Da ist Patrick aus Nordrhein-Westfalen, er zersägt gerade einen Knochen, und Max Peter aus Schleswig-Holstein, er zieht an einer Sehne. Und Kenneth aus Hessen kämpft mit einer Lende, während Tim sein Messer wetzt. Leonie tritt für Baden-Württemberg an – als einzige Frau gegen elf Fleischerkollegen. Die 19-Jährige will gewinnen.

Auch Vegetarier akzeptieren den Job

Ihre Freundinnen, erzählt sie, machten eher "so Bürojobs". Die eine ist Kauffrau, eine andere beschäftigt sich mit Kindern, eine Klassenkameradin arbeitet bei der Bank. Sie selber könnte so etwas nicht. "Ich brauche Bewegung, muss etwas mit den Händen schaffen." Ihr Freundeskreis akzeptiert, was sie macht, versichert sie. Sogar die Vegetarier.

Ohne Fleisch zu leben, sei für sie ein Ding der Unmöglichkeit, stellt Leonie klar. Schokocreme, Honig und Marmelade kommen ihr morgens nicht auf den Frühstückstisch – "da brauche ich Wurst". Als Kind huschte sie vor der Schule immer noch schnell in die Wurstküche und schaute, ob nicht schon ein paar Wienerle fertig waren. "Ich will Fleisch, jeden Tag", schwärmt Leonie. Sich selbst nennt sie ein "Wurstkind".

Bei dem zweitägigen Bundeswettbewerb müssen die Fleischer in mehreren Disziplinen Punkte sammeln. Schlachten müssen sie nicht; ihre Arbeit beginnt an der gelieferten Rinderhälfte. Erst füllen sie Pasteten, dann entbeinen sie eine Rinderkeule, zerlegen das Fleisch in feine Stücke und stellen eine Grillplatte zusammen. Die Jury steht ständig um sie herum, macht Striche auf einem Notizbrett, kommentiert, runzelt die Stirn, nickt. "Wir achten darauf, dass sie exakt und schnell arbeiten", sagt Klaus-Dieter Oppel vom Deutschen Fleischerverband. Wichtig sei auch, dass die Teilnehmer "keine Ressourcen verschwenden", im Klartext, wenig wegwerfen. "Schließlich arbeiten sie mit hochwertiger Ware."

Auch die Fleischverkäufer messen sich

Parallel zu den Fleischern machen sich elf Fleischereiverkäuferinnen und ein Verkäufer in einem anderen Raum zu schaffen. Auch sie messen sich auf Bundesebene. Hier geht es aber etwas stiller zu als bei den Kollegen – und etwas graziler. Fingerspitzen fummeln Petersilie aus einem Glas und streuen sie behutsam über einen Matjessalat. Mit einem Teelöffelchen rührt die Kandidatin aus Niedersachsen eine Honig-Senf-Frischkäse-Sauce für ihre Lachsröllchen an. Hannah Gehring beugt sich über die Arbeitsplatte, schiebt Obststückchen und Garnelen sachte auf einen Spieß, sucht Zutaten zusammen für das gekugelte Forellenmousse. Es duftet nach Wurst und Fisch.
"Das ist mein absoluter Traumberuf", sagt sie, "auch wenn ich hin und wieder blöde Kommentare zu hören bekomme." Hannah Gehring
Die 20-Jährige aus dem schwäbischen Rot am See wollte schon mit drei Jahren Metzgerin werden. Ihre Eltern führen einen eigenen Betrieb, "da lag es nahe, dass ich auch mal in diese Richtung gehen werde". Ihre Schwester studiert Betriebswirtschaft, sie selbst hat sich nach der Realschule jedoch für eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin entschieden. "Das ist mein absoluter Traumberuf", sagt sie, "auch wenn ich hin und wieder blöde Kommentare zu hören bekomme."

Die Vorurteile sind bekannt

Dass es Vorurteile gegen ihren Beruf gibt, weiß Hannah Gehring. Manche denken dabei an große, unfreundliche Verkäuferinnen und den bekannten Spruch "100 Gramm Lyoner, darf’s ’ne Scheibe mehr sein?". Ihr Job sei aber, versichert sie, viel mehr als nur das. Sie muss das Sortiment auswendig kennen, muss wissen, mit welchem Fleisch der Kunde welches Gericht zubereiten kann. Sie muss präzise beraten können und kreativ sein, wenn sie für eine große Gesellschaft Wurstplatten oder Fingerfood auf den Tisch zaubern soll. Dennoch erzählt sie nicht immer auf Anhieb, welcher Tätigkeit sie nachgeht. Vor allem am Anfang der Ausbildung war es ihr hin und wieder unangenehm, ihre Berufsbezeichnung zu nennen. "Wir haben halt leider nicht das beste Image."

Die Ausbildungszahlen für Fleischer und Fleischereifachverkäufer gehen seit Jahren dramatisch zurück. In Baden-Württemberg waren es vor zehn Jahren noch 2500 Azubis, die eine Lehre in einem der beiden Berufe begannen. Heute sieht es anders aus: Derzeit werden 456 Fleischer und 635 Verkäufer ausgebildet. Berthold Disch, Vertreter der Fleischerinnungen Emmendingen und Freiburg, spricht von 20 jungen Männern und Frauen, die in seinem Zuständigkeitsbereich gerade in Ausbildung sind. "Früher", sagt er, "hatten wir das Drei- oder Vierfache davon."

Fleischer war mal ein angesehener Beruf

Heinz-Werner Süss war Präsident des Deutschen Fleischerverbandes und führt eine eigene Metzgerei. Er hat die Entwicklung seines Berufes miterlebt und seufzt, wenn er darauf angesprochen wird. Als er anfing, sagt er und faltet die Hände, sei Fleischer noch ein angesehener Beruf gewesen. Heute ringt seine Zunft um die Zukunft. Als Problem nennt Süss den Mangel an Jugendlichen, die ins Handwerk wollen. "Da machen viele Abitur, gehen studieren oder direkt in die Industrie, die besser bezahlt." Außerdem bemängelten viele den frühen Arbeitsbeginn oder wollten sich erst gar nicht die Hände schmutzig machen. "Andere Berufe", klagt Süss, "scheinen einfach cooler zu sein als wir."

Doch die Branche kämpft und versucht, ihr Image zu polieren. Der Deutsche Fleischerverband stellt Werbevideos ins Internet. Die offizielle Berufsbezeichnung "Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk mit Schwerpunkt Fleischerei", das klingt moderner als Metzgerin. Zu Veranstaltungen wie dem Bundeswettbewerb werden Radio, Fernsehen und Zeitung eingeladen, damit der Öffentlichkeit das Handwerk nähergebracht wird und vielleicht der eine oder andere Jugendliche Appetit bekommt.

Gewiss ist sich der Verband, dass seine Berufe nie aussterben werden. Er glaubt trotz einer Zunahme an Vegetariern und trotz des einen oder anderen Fleischskandals an eine sichere Zukunft. Zweifel wischt Heinz-Werner Süss mit einer Handbewegung weg. "Die Menschen wollen regionale und qualitativ hochwertige Produkte", sagt er. "Und das können wir ihnen bieten."

Für die Siegerehrung das Hackbeil zur Seite gelegt

Leonie Baumeister hat für die Siegehrung die Schürze abgelegt und sich in Schale geworfen. Die Gummistiefel stehen in der Ecke, ihre Füße zieren jetzt höhere Absätze. Statt des Hackbeils hält sie ein Glas Sekt in der Hand. Ihr Vater und ihre Mutter sind gekommen und jubeln, als der zweite Platz der Tochter bekanntgegeben wird. "Extrem glücklich, voll zufrieden, mordsmäßig stolz" – so die Reaktion der jungen Fleischerin. Kommendes Jahr wird sie Deutschland als Nachwuchstalent bei den Fleischer-Europameisterschaften in Österreich vertreten. "Dass ich es einmal so weit schaffen werde, hätte ich nicht gedacht." Diese Chance wolle sie nutzen, "vielleicht springt ja dort ein Sieg heraus." Die Messer wird sie jedenfalls zuvor noch einmal schleifen, die Schürze erneut umbinden – und das Hackbeil darf auch nicht fehlen.

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Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 24. November 2016: PDF-Version herunterladen

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