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Einkommensschere

Die Kluft zwischen armen und reichen Ländern wird größer

Christian Mihatsch
  • Di, 28. Juni 2016
    Wirtschaft

Mehr als die Hälfte der Entwicklungsländer fällt wieder zurück.

CHIANG MAI. Bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich die Einkommensschere zwischen Industrie- und Entwicklungsländern schnell geschlossen. Dies ist nicht länger der Fall. Über die Hälfte der Entwicklungsländer fällt wieder zurück.

Die Weltbank hat die Entwicklungsländer abgeschafft. In ihrer Datensammlung wird nicht länger zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern unterschieden. "Dabei geht es auch darum, die mentalen Modelle zu aktualisieren, die sich die Menschen (von der Welt) machen", sagte Tariq Khokhar, ein Weltbank-Statistiker, der Internetpublikation Quartz. Der Weltbankökonom Umar Serajuddin ergänzt: "Das Hauptproblem sind die riesigen Unterschiede zwischen Ländern wie Malawi und Malaysia. Malaysia ist eher mit den USA vergleichbar als mit Malawi. Wenn wir derart unterschiedliche Länder in einer Gruppe zusammenwerfen, ist das nicht wirklich nützlich."

In den Jahren vor der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 haben sich viele Entwicklungsländer sehr schnell entwickelt. Dort lag die Wachstumsrate zeitweise um fünf oder mehr Prozentpunkte höher als in den Industriestaaten, und die Einkommenslücke zu den Industriestaaten schloss sich schnell. Von 2004 bis 2008 konnten die Menschen in Schwellenländern wie China oder Brasilien davon ausgehen, dass ihr Pro-Kopf-Einkommen in 42 Jahren auf US-Niveau steigt.

Dem ist nicht länger so, wie die Weltbank in ihrem Wirtschaftsausblick schreibt. Dort hat sie zum einen die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft erneut nach unten korrigiert. Dieses Jahr soll die Weltwirtschaft um 2,4 Prozent zulegen statt um 2,9 Prozent, wie die Weltbank noch im Januar geschätzt hatte. Zum anderen haben sich die Aussichten für die Entwicklungsländer deutlich verschlechtert: Weniger als die Hälfte holt überhaupt noch gegenüber den Industriestaaten auf. Die Anzahl der Jahre, um das US-Niveau zu erreichen, hat sich verlängert: Staaten wie Nigeria müssen nun über 100 Jahre warten und die ärmsten Länder gar über 200 Jahre.

Für viele Entwicklungsländer ist die Zeit der Aufholjagd also vorerst zu Ende. Aus Sicht der ökonomischen Theorie ist dies erstaunlich: Eigentlich müssten ärmere Länder schneller wachsen als reichere, weil in den ärmeren Kapital einen höheren Ertrag abwirft. Dies führt in der Theorie dazu, dass Kapital in die ärmeren Länder fließt.

Praktisch hat die Konvergenztheorie aber nur selten und nur in einigen Ländern funktioniert. 1997 schrieb der damalige Chefökonom der Weltbank Lant Pritchett: Der zunehmende Abstand zwischen reichen und armen Ländern ist "das dominierende Merkmal moderner Wirtschaftsgeschichte". Die Schere öffnete sich also immer mehr. Doch dann wendete sich plötzlich das Blatt: Viele Entwicklungsländer, allen voran China, begannen schnell zu wachsen. 1995 war die Welthandelsorganisation WTO gegründet worden und 2001 trat China der WTO bei. Das Wachstum des Welthandels verdoppelte sich auf neun Prozent.

Viele Länder kletterten die Einkommensleiter hoch

Die Aufholjagd lohnte sich: Im Jahr 1994 hat die Weltbank 64 Staaten als Länder mit niedrigem Einkommen eingestuft – die niedrigste Kategorie mit einem Pro-Kopf-Bruttoinlandprodukt von weniger als 1045 Dollar. Bis zum Jahr 2014 haben es 33 dieser Staaten in eine höhere Einkommenskategorie geschafft. Damit lebten noch 613 Millionen Menschen in den ärmsten Ländern der Welt und nicht mehr 3,1 Milliarden wie noch zehn Jahre zuvor. Derartige Erfolge werden sich aber nicht wiederholen lassen, wenn sich das globale Wachstum verlangsamt und nur wenige Entwicklungsländer gegenüber den Industriestaaten aufholen.

Ressort: Wirtschaft

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 28. Juni 2016: PDF-Version herunterladen

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