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Radikalisierung?

Der Attentäter von Nizza wurde kurz vor der Tat religiös

Axel Veiel
  • & dpa

  • Mo, 18. Juli 2016, 00:00 Uhr
    Ausland

Der Terrorist, der in Nizza mit einem Lastwagen am vergangenen Donnerstag 84 Menschen in den Tod gerissen hat, ist wohl doch ein religiöser Fanatiker gewesen. Kurz vor der Tat fand er zur Religion.

Überall auf der  Promenade des Anglais...nalfeiertag zwei Mal ausgespäht haben.  | Foto: dpa
Überall auf der Promenade des Anglais in Nizza wird der Opfer des Attentats gedacht. Der Täter soll die Promenade kurz vor dem Nationalfeiertag zwei Mal ausgespäht haben. Foto: dpa
Die Vernehmungen mehrerer Festgenommener aus seinem nächsten Umfeld deuteten darauf hin, dass der Mann sich vor recht kurzer Zeit dem radikalen Islam zugewandt habe, berichteten französische Medien am Wochenende unter Berufung auf Polizeiquellen.

Der IS beanspruchte die Tat am Samstag für sich

Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve teilte am Wochenende mit, der von den Geheimdiensten nicht als potenziell gefährlicher Islamist erfasste Attentäter sei "in sehr kurzer Zeit radikal-religiöser Gesinnung" anheimgefallen. Ein von der Terrrormiliz "Islamischer Staat" (IS) ins Internet gestellte Bekennerschreiben weist in die gleiche Richtung. Die mit dem IS zusammenarbeitende Nachrichtenagentur Amak bezeichnet den Angreifer darin als "Soldaten des IS", der dem Aufruf gefolgt sei, Bürger von Staaten umzubringen, die gegen den IS Krieg führten. Zuvor hatte nur die Vorgehensweise des 31-jährigen Tunesiers Mohamed Lahouaiej Bouhlel auf Verbindungen zum IS hingedeutet. Nachbarn und Bekannte hatten ihn als wenig fromm geschildert.

"Wenn ihr keine Bombe zünden, keine Kugel schießen könnt, behelft euch auf andere Weise, überfahrt sie mit eurem Auto", hatte der IS-Sprecher Abou Mohamed  al-Adnani 2014 an die "Soldaten des Kalifats" appelliert. Der zuletzt in einem Mietskasernenviertel im Osten Nizzas lebende Lahouaiej Bouhlel, der seinen Lebensunterhalt als Lkw-Fahrer und Lieferant verdiente, hat eben dies getan. Der Fernsehsender BFMTV berichtete am Sonntag, dass Bouhlel noch kurz vor der Tat in mehreren SMS "mehr Waffen" verlangt habe. Die SMS soll er an einen der Männer geschickt haben, die nach der Tat festgenommen wurden.

Kurz danach bog der Mann am vergangenen Donnerstag auf den für Lkw eigentlich verbotenen Küstenboulevard Promenade des Anglais ein. Er fuhr dort etwa 1,4 Kilometer, überfuhr dabei schon einige Passanten und gelangte dann an die Stelle, wo die Polizei die Straße für den Nationalfeiertag unter anderem mit Streifenwagen abgesperrt hatte. Er fuhr einfach über den breiten Bürgersteig und raste mit hoher Geschwindigkeit in die Menschenmenge, die dort das Feuerwerk angeschaut hatte. Er kam nach Überwinden der Sperre den Berichten zufolge in 45 Sekunden noch 500 Meter weit und wurde dann von der Polizei erschossen. Davor hatte er noch mit einer Pistole um sich geschossen. 84 Menschen wurden bei dem Anschlag getötet, mehr als 200 verletzt. Drei Tage nach dem Anschlag schwebten am Sonntag immer noch 18 Verletzte in Lebensgefahr, darunter ein Kind. Am Sonntag wurde bekannt, dass er am vorigen Dienstag und Mittwoch die Zone ausgespäht hatte.

Kontakt auf dem Mobiltelefon zu einem Islamisten

In der Wohnung des Mannes fand sich zunächst nichts, was eine Neigung zum Dschihad erkennen ließ. Aufmerken ließ lediglich ein auf dem Mobiltelefon des Tunesiers registrierter Kontakt zu Omar Diaby. Der Franko-Senegalese soll für die Al-Nusra-Front, den in Syrien aktiven Al-Qaida-Ableger, zahlreiche Franzosen für den Dschihad rekrutiert haben, bevor er sich 2013 von Nizza nach Syrien absetzte. Nach Auskunft der Ermittler lassen die Kontaktdaten aber keine weiterreichenden Schlüsse zu.

Im Lebenswandel des seit 2009 in Nizza lebenden Tunesiers hatte auch nichts darauf hingedeutet, dass er zum Terroristen werden könnte. Gewiss, gelegentlich war er mit dem Gesetz in Konflikt geraten, im März dann erstmals verurteilt worden. Auf sechs Monate Haft auf Bewährung lautete das wegen Körperverletzung verhängte Urteil. In einem nach einem Verkehrsunfall entbrannten Streit hatte Lahouaiej Bouhlel zu einer Holzpalette gegriffen und zugeschlagen. Einer dieser Jähzornsanfälle wird es gewesen sein, die ihn nach Auskunft seines Vaters immer wieder heimsuchten.   Zuvor war Lahouaiej Bouhlel gelegentlich als Kleinkrimineller in Erscheinung getreten, hatte gestohlen oder war durch Sachbeschädigung aufgefallen. Auch soll er nach Angaben eines Familienmitglieds die eigene Frau geschlagen haben, die sich vor kurzem von ihm scheiden ließ.

Doch dass der Mann ein Attentat verüben könnte, dafür finden sich, wie Frankreichs Justizminister Jean-Jacques Urvoas am Wochenende bestätigt hat, in den Polizeiakten keine Anhaltspunkte. Genauso wenig hat sich offenbar angedeutet, dass Lahouaiej Bouhlel sein Heil in der Religion suchen und binnen allerkürzester Zeit zum Dschihadisten werden könnte. Deshalb gab es zunächst Skepsis hinsichtlich eines islamistischen Motivs.

Nach der Tat wurden seit Freitag insgesamt fünf Männer und zwei Frauen aus seinem Umfeld festgenommen. Eine der Frauen, seine frühere Ehefrau, wurde am Sonntag wieder freigelassen. Die ersten Vernehmungen sollen darauf hindeuten, dass sich Lahouaiej Bouhlel erst kurz vor der Tat dem radikalen Islam zuwandte. Er habe auch aufgehört, Alkohol zu trinken, berichtete die Zeitung Le Parisien. Nach anderen Medienberichten leerte er vor der Tat sein Konto und schickte 100 000 Euro an seine Familie in Tunesien.

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Ressort: Ausland

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