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Grüne Woche

Bauern rufen zu einer Wir-haben-Agrarindustrie-satt-Demonstration auf

Hanna Gersmann
  • Sa, 21. Januar 2017
    Wirtschaft

Die Frage, wie Lebensmittel produziert werden sollten, teilt die Bauern in zwei Lager. Am Rande der Grünen Woche rufen die einen diesen Samstag zu einer Wir-haben-Agrarindustrie-satt-Demonstration auf. Die anderen halten dagegen mit der Wir-machen-euch-satt-Kundgebung. Ist der Streit zu lösen?

Ein Schweineleben? Die richtige Haltun...Nutztieren ist ein umstrittenes Thema.  | Foto: dpa
Ein Schweineleben? Die richtige Haltung von Nutztieren ist ein umstrittenes Thema. Foto: dpa

BERLIN. Die Frage, wie Lebensmittel produziert werden sollten, teilt die Bauern in zwei Lager. Am Rande der Grünen Woche rufen die einen diesen Samstag zu einer Wir-haben-Agrarindustrie-satt-Demonstration auf. Die anderen halten dagegen mit der Wir-machen-euch-satt-Kundgebung. Ist der Streit zu lösen?

In der Hauptstadt sind sie sonst eigentlich nicht zu sehen. An diesem Samstag ist alles anders: Dann wird ein Traktor nach dem anderen durch das Berliner Regierungsviertel fahren. Fernsehleute werden sie für die Abendnachrichten filmen, Journalisten ihre Notizen machen. Die Bauern kommen zum Demonstrieren nach Berlin. Nur: Sie fahren nicht in eine Richtung. Die einen werden ihre Trecker zu einer Demo mit dem Titel "Wir-haben-Agrarindustrie-satt" lenken, die anderen zur Gegenveranstaltung "Wir-machen-euch-satt". Es geht um die Wurst. Anders gesagt: Um die Zukunft des Essens – und den Kampf zweier Lager, wie es auf dem Lande weitergeht.

Alles beim Alten lassen geht nicht. Das wissen alle, die nach Berlin kommen. Das Unbehagen der Verbraucher, wie Schweine, Hühner und Rinder gehalten und Felder von unliebsamen Kräutern freigehalten werden, wächst. Wissenschaftler mahnen, dass Wasser, Boden und Klima besser geschützt werden müssten. Zugleich kommen viele Betriebe nicht mehr über die Runden. Da läuft etwas falsch, dementsprechend groß ist die Unruhe in der Landwirtschaft. Eine britische Boulevardzeitung machte bereits die "Bratwurst-Wars" in Deutschland aus, Kriege um die Bratwurst.

Sie kam darauf, weil die Rügenwalder Mühle, eigentlich eine traditionsreiche norddeutsche Wurstfabrik, Ärger von Landwirten auf sich zieht, seit sie auch vegetarische Schnitzel und Frikadellen eingeführt und damit den Trend zu Veggie-Produkten gefördert hat. Eine Schweinehalterin erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Wir kaufen konsequent keine Rügenwalder-Produkte mehr." Das sei als persönlicher Boykott zu verstehen und der Begriff "Bratwurst-Krieg" übertrieben. Dennoch steht der Fall für einen Richtungsstreit in der Frage, wie die Lebensmittelproduktion sich wandeln muss. Sollen in deutschen Ställen weniger Tiere stehen? Verdient der Bauer dann genug? Soll er nicht eher auf Effizienz und Größe, auf Masse und Export setzen?

"Der Deutsche Bauernverband propagiert schon jahrelang Wachstum", warnt Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, "das hat noch nie geholfen. Im Gegenteil sind ganz viele Betriebe auf der Strecke geblieben, weil sie bei dieser Billigproduktion nicht mithalten konnten."

Jasper steht stellvertretend für jene, die die "Wir-haben-es-satt"-Initiative gegründet haben. Er hat dramatische Zahlen parat: Allein im letzten Jahr haben gut 4000 Bauern ihre Kühe abgeschafft, 1300 ihre Schweineställe dichtgemacht. In den vergangenen zehn Jahren gaben insgesamt 100 000 Betriebe auf, geblieben sind 280 000. Das Leben auf dem Dorf ändere sich extrem, sagt Jasper: "Da vollzieht sich nicht ein Strukturwandel, sondern ein Strukturbruch." Ganze Regionen drohten abgehängt zu werden – ohne Arbeit und Perspektive.

Seine wichtigste Idee und die seiner Mitstreiter, um dem Drang zur Größe etwas entgegenzusetzen, unter dem auch Tiere und Umwelt leiden: Ran ans Geld. Jeder EU-Bürger zahlt pro Jahr 112 Euro, die an die Agrarwirtschaft verteilt werden. Die Bauern hierzulande erhalten davon im Jahr insgesamt knapp 6 Milliarden Euro. Je größer der einzelne Betrieb, umso mehr bekommt er davon. Dabei ist es weitgehend egal, was der Bauer im Stall und auf dem Feld macht. Nun fordert die "Wir-haben-es-satt"-Initiative, die Förderung an die Fürsorge für Ökologie und Tierwohl zu koppeln. Das soll den Trend zu Billigproduktion und agrarindustriellen Strukturen stoppen. Jasper und seine Leute werben für ihr Anliegen mit Sätzen wie "Wir wollen Bauernhöfe statt Agrarindustrie".

Das hält die Gegenseite für Unfug: die Initiative "Frag den Landwirt", die zur Gegendemonstration "Wir-machen-euch-satt! Dialog statt Protest!" aufgerufen hat. Die Agrarindustrie sei nicht der Feind, sondern Geschäftspartner, erklärt eine Sprecherin. Landwirte seien bereit, "Missstände abzubauen", man dürfe aber nicht die Erfolgsgeschichte Landwirtschaft einfach wegschmeißen – das gefährde die "Rundumversorgung mit sicheren Lebensmitteln".

Landwirt Bernhard Barkmann ist einer der Mitinitiatoren der "Wir-machen-euch-satt"-Kundgebung, für die auch der Deutsche Bauernverband wirbt. Er argumentiert, dass zu ihnen die "richtigen" Bauern kämen. Er setzt das Wort "richtig" zwar in Anführungszeichen, aber klar wird, dass die anderen für ihn vor allem eins sind: ahnungslos. Versöhnlich klingt das nicht.

CSU-Bundesagrarminister Christian Schmidt konnte den Konflikt bisher nicht entschärfen, auch wenn er Vertreter beider Seiten diese Woche zu sich geladen hat. Er hat vor allem von sich reden gemacht, als er am Jahresende dem veganen Schnitzel den Kampf ansagte. Zudem hat er ein 50-seitiges Grünbuch vorgestellt, eine Art Fahrplan für die künftige Agrar- und Ernährungspolitik. Doch das bleibt ebenso vage wie das neue staatliche Tierschutzlabel, ein Emblem für "Mehr Tierwohl", das Schmidt zum Auftakt der Grünen Woche vorgestellt hat.

Es ist noch lange nicht fertig, die genauen Kriterien fehlen bislang. Dabei empfehlen dem Minister die eigenen Berater, eindeutige Vorgaben zu machen. Harald Grethe, Professor für Internationalen Agrarhandel und Entwicklung an der Berliner Humboldt-Universität, leitet den wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik. Er hat längst klare Signale an Land- und Ernährungswirtschaft gefordert, um die Debatte zu versachlichen und aus der "Kampfzone" rauszukommen. So treibt es am Samstag nun beide Lager auf die Straße.

Es könnte gut sein, dass sie sich begegnen. Die "Wir-haben-es-satt"-Demo startet um zwölf Uhr vom Potsdamer Platz aus in Berlin. Machen sich manche der gut zehntausend erwarteten Demonstranten – neben konventionellen und Bio-Bauern, sind auch Lebensmittelproduzenten, Umweltschützer und Verbraucher dabei – vom Hauptbahnhof dorthin auf, treffen sie noch auf die Teilnehmer der "Wir-machen-euch-satt-Kundgebung". Deren Organisatoren rechnen mit rund 1500 Teilnehmer, allesamt Landwirte, diese Demonstration findet ab neun Uhr vor dem Bahnhof auf dem Washington-Platz statt.

Weniger Landwirte

In Deutschland gibt es immer weniger landwirtschaftliche Betriebe, wobei die genutzten Flächen und Tierbestände ungefähr gleich bleiben. Die Gesamtzahl der Betriebe ist zwischen 2013 und 2016 um rund 9000 oder drei Prozent auf 276 000 zurückgegangen, wie das Statistische Bundesamt am Freitag berichtete. Damit hat sich der Strukturwandel etwas verlangsamt: Im davorliegenden Berichtszeitraum hatten noch 14 000 Höfe aufgegeben, was einem Anteil von fünf Prozent entsprach. Nach ökologischen Vorschriften wirtschaften aktuell knapp 23 000 Betriebe.

In Baden-Württemberg gab es im Jahr 2016 noch 40 600 landwirtschaftliche Betriebe, wie das Statistische Landesamt in Stuttgart mitteilte. Im Jahr 2010 waren noch 44 500 gezählt worden. Rein rechnerisch gaben somit pro Tag fast zwei Landwirte ihren Hof auf. Nach Angaben der aktuellen Agrarstrukturerhebung nimmt die durchschnittlich bewirtschaftete Fläche je Bauer zu: 2016 waren es knapp 35 Hektar, vor sechs Jahren knapp 32 Hektar Fläche.

Ressort: Wirtschaft

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 21. Januar 2017: PDF-Version herunterladen

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