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Wir werden der Kindheit beraubt

  • Emilia Schabinger, Klasse 9a, Scheffel-Gymnasium (Lahr)

  • Fr, 03. Mai 2019
    Schülertexte

Viele Jugendliche leiden unter einem Zuviel an Stress.

Manchmal wird einem alles zu viel.  | Foto: Blue Planet Studio - stock.adobe.com
Manchmal wird einem alles zu viel. Foto: Blue Planet Studio - stock.adobe.com

Unseren Eltern kann es nicht schnell genug gehen. Sie seien, so drückt es der Kinderarzt Herbert Renz-Polster aus, eine Generation, die zunehmend in den besten Lebensjahren mit Burnout zu kämpfen habe und für ihre eigenen Kinder einen Lebensweg mit noch mehr Tempo, noch mehr Förderung entwerfe. Sie fungiere Kindergärten zu Schulen um, weil sie glaube, Kinder, die früh Mathe lernen, seien schneller am Ziel. Aber welches Ziel wollen wir, ihre Kinder, erreichen?

Lehrer, Eltern, vor allem unseren zukünftigen Arbeitgeber stellen Ansprüche. Ohne Fleiß kein Preis. Doch was wollen wir wirklich? Reicht uns ein Leben reduziert auf unsere Produktivität? Für viele Jugendliche steht die Schule auf Platz eins der Stressfaktoren. Egal ob im Unterricht oder in der eigentlichen Freizeit, welche mit Lernen und Hausaufgaben gefüllt ist, es muss immer etwas geleistet werden. Und das konstant. Wenn du nur kurz nicht mithältst, kannst du fast nicht einmal mehr von deinem Abitur träumen.

In einer Umfrage in einer neunten Klasse gaben 83 Prozent der Schülerinnen und Schüler an, unter Leistungsdruck zu stehen. Vermehrt haben viele Schüler das Gefühl, dass sie den Leistungsanforderung nicht mehr gerecht werden. "Wie oft habe ich gehört, dass gerade Mitschülerinnen gesagt haben, dass sich ihr ganzes Leben nur noch um die Schule dreht. Oft hat man gemerkt, wie sie ihren Selbstwert an ihren schulischen Leistungen festmachen", erzählt eine Schülerin.

Kopfschmerzen sind auch Symptome von Stress

Und auch Hobbys werden von vielen Jugendlichen vernachlässigt. Wozu sollte man Klavier spielen lernen, wenn man eh kein Pianist wird? Jedes Hobby und jede Vorliebe wird erstickt, weil das einen beruflich später nicht weiterbringt. Gerade Vereine in ländlichen Gegenden bekommen diese Problematik zu spüren. Musikvereine sind mitunter nicht mehr spielfähig und Fußballvereine können kein Team mehr füllen, da bald wieder Klausuren geschrieben werden.

Jedoch wissen gerade Eltern oft, wie wichtig es wäre, einen Ausgleich zu finden. Wie kann es sein, dass viele Schüler schon in der siebten Klasse die Hälfte ihrer Freizeit für die Schule opfern und so den perfekten Grundbaustein für eine psychische Krankheit legen? Die Folgen von Stress und fehlender Freizeit, gerade im Kindes- und Jugendalter, sind doch bekannt. "Das Spektrum reicht von Angstattacken über Bauchschmerzen bis hin zu Verdauungsproblemen und Nervenzusammenbrüchen", berichtet eine Gymnasiastin aus Lahr über ihre Symptome. Auch Aggressivität, Müdigkeit, Traurigkeit, Kopfschmerzen, Verzweiflung und sogar Blackouts werden von Schülerinnen und Schülern auf die Frage nach schulischem Stress genannt.

Vermarktbarer Einheitsbrei statt Individualität

Doch woher kommt der ganze Druck? 37,5 Prozent der Befragten gaben an, dass der Stress von ihnen selbst kommt, und 25 Prozent geben an, dass er von der Gesellschaft oder der Familie ausgeht. Wie kann man diesem Druck entfliehen? Immer mehr Jugendliche greifen zu sogenanntem "Hirndoping". Mit verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Ritalin versuchen sich vermehrt Schülerinnen, Schüler und Studierende, aufzuputschen. Laut einer Studie über leistungssteigernde Mittel würden sich acht von zehn Schülerinnen und Schülern auf eine leistungsfördernde Droge einlassen, wenn diese legal verkäuflich wäre. Wollen wir das wirklich?

Nein, trotzdem sind wir an diesem Punkt bereits angelangt: Kinder mit Burnout und eine Jugend, die auf ihren Vermarktungswert reduziert wird. Ohne Grund sind Depressionen wohl nicht zur Volkskrankheit geworden. Und so verweilt die Zukunft unserer Erde in vollgestopften Klassenzimmern mit gestressten Lehrkräften und einem Schulsystem mit einer "one size fits all"-Mentalität. Sollte die Schule junge Menschen nicht lebensfähig machen, anstatt einer ganzen Generation jegliche Kreativität und Lebenslust auszusaugen? Sollte man Kindern nicht die Zeit geben, erwachsen zu werden und sich selbst zu finden, anstatt sie mit neun oder zehn Jahren nach ihren noch nicht einmal ausgeprägten Fähigkeiten in Schubladen einzuteilen?

Die Individualität von Kindern wird gegen einen gut vermarktbaren Einheitsbrei ausgetauscht. Dabei wird uns immer wieder gesagt, dass Kindheit und Jugend die schönste Zeit im Leben sei. Warum setzen wir nicht auf ein Schulsystem, das die Schüler und Schülerinnen und deren Leistungen differenziert beobachtet. "Jeder ist ein Genie! Aber wenn Du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist." Albert Einstein soll das gesagt haben.

Und tatsächlich: Wenn man einem angehenden Autor erzählen würde, er sei nicht gut genug, da seine Mathe-Noten unter dem Durchschnitt lägen, würde dieser nie das benötigte Selbstvertrauen entwickeln können, um sein Talent richtig einschätzen zu können.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 03. Mai 2019: PDF-Version herunterladen

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