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Zirkuskind, Hochbegabter, Weltmeister

  • Mo, 19. November 2018, 22:01 Uhr
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Die Karriere des 21-jährigen deutschen Tennisprofis Alexander Zverev findet mit dem Sieg im ATP-Finale in London ihren ersten, nicht unerwarteten Höhepunkt.

Alexander Zverev freut sich mit dem Pokal in den Händen.   | Foto: DPA
Alexander Zverev freut sich mit dem Pokal in den Händen. Foto: DPA
In die Tennis-Weltspitze ist Alexander Zverev schon vor einiger Zeit vorgestoßen. Vergleichsweise unbemerkt. Am Sonntag hat Zverev das ATP-Finale in London gewonnen. Durch seinen Sieg gegen den Weltranglistenersten Novak Djokovic ist der gebürtige Hamburger der erste deutsche Tennis-Weltmeister seit Boris Becker 1995. Und das mit erst 21 Jahren. Wer ist dieser Alexander Zverev?

Irina Zverev, Alexanders Mutter, ist die Chefin des Familienunternehmens, das seit anderthalb Jahrzehnten die Kontinente bereist – zunächst mit dem älteren Sohn Mischa (31) und Alexander als Steppke im Schlepptau. Dann mit beiden Hochbegabten. "Wir atmen, trinken und essen Tennis", sagt die 51-Jährige, die selbst einst die viertbeste Spielerin Russlands war – vor der Auswanderung nach Deutschland in den 90er Jahren. Tausende Tennislektionen bekam Alexander von seiner Mutter, die technische Handschrift ist klar zu erkennen. Aber auch der Charakter der Mutter: "Meine Frau ist immer eine große Kämpferin gewesen", sagt Vater Alexander Zverev senior (58), der ehemalige russische Davis Cup-Spieler.

Zverev (21), der neue Weltmeister, ist ein Zirkuskind, immer auf Achse mit den Eltern und mit dem älteren Bruder. Er sei komplett natürlich in dieses Leben hineingewachsen, sagt Irina Zverev: "Es hat keinen Zweifel gegeben, dass er mal Profi wird." Alexander toppte den Ehrgeiz aller anderen Familienmitglieder. "Wenn ich mit ihm Tennis gespielt habe oder auch mal ein Gesellschaftsspiel, dann musste ich ihn irgendwann gewinnen lassen. Sonst wäre die Stimmung kaputt gewesen", erinnert sich die Mutter.

Die Zverevs sind ein Phänomen der Tenniswelt. Etwas Vergleichbares wie die Hamburger Familie gab es im modernen Tourbetrieb noch nie: zwei Brüder, die sich bis in die Weltspitze durchschlagen. Und von denen der Jüngere, der außergewöhnlich Talentierte, nun Weltmeister ist. "Es ist einfach verrückt, was diese Familie aufgebaut hat", sagt Boris Becker, der alte Tennismeister. Mutter Irina war stets Herz und Kopf der Tennis-Reisegesellschaft. Vater Alexander war schließlich dafür verantwortlich, nach den Aufbaujahren den Söhnen den letzten Schliff zu geben. "Er ist für mich der beste Trainer der Welt", sagte Alexander junior am Sonntag gerührt, "alles, was ich bin, habe ich meinen Eltern zu verdanken."

Mutter und Vater hatten bei Alexander allerdings auch etwas mehr Gelassenheit und Toleranz walten lassen als bei ihrem älteren Sohn. Mischa hatten sie ein wenig zu hart an die Kandare genommen. Irgendwann, nach einer Serie von Verletzungen, dachte Mischa sogar ans Aufhören. Doch dann passierte etwas Verrücktes: Ausgerechnet der jüngere Bruder brachte den älteren wieder in die Erfolgsspur. "Erst half Mischa seinem Bruder, sich im großen Tennis zurechtzufinden. Und dann rettete ihm Sascha seinerseits die Karriere", sagt Beobachter Becker, "was für eine Wahnsinnsstory."

Große Erwartungen begleiten Zverev, den Jüngeren, schon seit vielen Jahren. Er war seit geraumer Zeit die Projektionsfigur für all jene, die eine Blutauffrischung an der Spitze der Tenniswelt ersehnen – und das Ende der Dominanz der älteren Gentlemen um Federer, Nadal und Djokovic. Aber die blieben hartnäckig. Bizarrerweise wurde Zverev in sozialen Medien schon als Versager abgestempelt, weil ihm bei den kostbarsten Tennisturnieren, den Grand Slams, kaum Erfolge gelangen.

Vielleicht beginnt das Publikum diesen jungen Kerl nach seinem Durchbruchsieg sogar zu lieben. Oft genug war Zverev in der Öffentlichkeit angeeckt, meist, weil er Sachverhalte mit einer brutalen, entwaffnenden Ehrlichkeit benannte, was man ihm wechselweise als Arroganz, Hochnäsigkeit und Überheblichkeit auslegte. Zverev begann selbst ein wenig unter diesem Bild zu leiden, sagte: "Mein Problem ist: Ich will immer total ehrlich sein. Das ist nicht immer gewünscht."

Nach dem Triumph gegen Djokovic, hielt er eine launige, höchst unterhaltsame Rede. "Ein Deutscher mit Humor, der reden und über sich lachen kann. Ein Star ist angekommen", gab Boris Becker in der BBC zu Protokoll. Um dann noch hinzuzufügen: "Das ist ein Moment, auf den die Tenniswelt lange gewartet hat."



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  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 20. November 2018: PDF-Version herunterladen

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