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Wer trägt Verantwortung für den tödlichen Biss?

  • Kathrin Drinkuth & dpa

  • Mi, 30. Mai 2018
    Südwest

     

Zwei Hundehalter stehen in Sigmaringen vor Gericht, weil ihr Kangal im vergangenen Jahr eine Rentnerin angegriffen hat.

Ein Hund der Rasse Kangal   | Foto: dpa
Ein Hund der Rasse Kangal Foto: dpa
SIGMARINGEN. Die alte Dame hat keine Chance. Im Mai 2017 wird sie – so schildert es der Staatsanwalt in seiner Anklage – in Stetten am kalten Markt von einem Hund der Rasse Kangal angefallen. Das Tier reißt sie zu Boden, beißt ihr mehrfach in Kopf und Hals. Schnell ist ein Notarzt da. Doch der kann sich erst um die Frau kümmern, als der aggressive Hund von ihr ablässt. Die 72-Jährige erliegt ihren schweren Verletzungen.

Vor dem Amtsgericht Sigmaringen müssen sich seit Dienstag die Besitzer des Tieres verantworten – eine 44-Jährige und der 48-jährige, von ihr getrennt lebende Ehemann. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung vor. Am ersten Prozesstag lassen die beiden Angeklagten über ihre Verteidiger ausrichten, sie bedauerten den Vorfall zutiefst. "Meine Mandantin hätte es nie für möglich gehalten, dass der Hund derart aggressiv und gefährlich ist", sagt der Anwalt der Angeklagten. Zudem entschuldigen sie sich bei den Hinterbliebenen. Für den Ehemann des Opfers ein schwacher Trost: "Ich bin nicht der richtige Adressat für eine Entschuldigung. Sie müssten sich eigentlich bei meiner Frau entschuldigen", sagt der alte Herr, der seine Tränen nur mit Mühe zurückhalten kann.

Die tödliche Attacke des Hundes ist nur eine von mehreren. Zuletzt biss in diesem Frühjahr ein Kampfhundemischling in Hannover seine 52 Jahre alte Besitzerin und deren 27 Jahre alten Sohn tot. Ebenfalls im April tötete ein Mischlingshund einen sieben Monate alten Jungen in Hessen mit einem Biss in den Kopf. In München fiel vergangene Woche ein Rottweiler mehrere Passanten an.

Angesichts solcher Vorfälle kommt die Frage nach strengeren Vorschriften bei der Hundehaltung auf. Der Ehemann der getöteten 72-Jährigen – der beim Prozess in Sigmaringen als Nebenkläger auftritt – spricht sich in der Verhandlungspause für einen Hundeführerschein aus. "Der Tod meiner Frau war sinnlos und grausam", sagt er. Er verstehe nicht, warum die Haltung von Hunden nicht besser geregelt sei. "Sonst gibt es für alles Vorschriften."

Der Verband für das Deutsche Hundewesen lehnt einen verbindlichen Führerschein dagegen ab. "Wir wollen Halter, die sachkundig sind. Das sollte auf freiwilliger Basis gefördert werden", sagt die Abteilungsleiterin für gesetzliche Vorgaben, Birgit Büttner. Sonst sei zu befürchten, dass beispielsweise Senioren, die einer entsprechenden Prüfung nicht mehr gewachsen seien, keine Hunde halten dürften. Zudem hänge die Gefährlichkeit von Hunden nicht von der Rasse ab, sondern von Haltung, Zucht und Sozialisierung.

Ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt, dass strafrechtlich relevante Vorfälle mit Hunden in Baden-Württemberg seit Jahren offenbar zunehmen. 2017 wurden demnach 1433 Menschen von Hunden verletzt – ein Anstieg um 20 Prozent gegenüber dem Wert von 2013, als 1189 Opfer gezählt wurden.

In Sigmaringen muss das Amtsgericht unter anderem bewerten, ob die Besitzer den Kangal und ihre anderen Tiere artgerecht hielten. Nach Ansicht des Staatsanwalts war das nicht der Fall. Der Hof habe nicht genug Platz geboten. Zudem sei der Kangal am Tag der Attacke mit einem Halsband angekettet gewesen, das zu abgenutzt war, um das Tier wirklich zu halten. Die Folge: Der Hund riss sich los und ging unvermittelt auf die alte Frau los, die auf einem Fußweg neben dem Grundstück spazieren ging. Das Tier wurde am Ende von der Polizei erschossen.

Ermittler zeichnen vor Gericht das Bild eines verwahrlosten Zuhauses, in dem die 44-Jährige offenbar mit der Haltung ihrer Tiere überfordert war. Er habe einen vermüllten und verkoteten Haushalt vorgefunden, sagt der Kriminalhauptkommissar. Bis zu 20 Katzen soll die Frau gehalten haben, dazu einen weiteren Kangal und einen Mischlingshund.

Diese Hunde seien am Tag der Attacke jedoch im Haus untergebracht gewesen. Die 44-Jährige hatte das Haus am Morgen verlassen und war erst am späten Abend wieder zurückgekommen – die Tiere blieben allein. Ihr Ehemann, der ihr die Hunde überlassen hat, lebte nicht auf dem Grundstück.

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 30. Mai 2018: PDF-Version herunterladen

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