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UNTERM STRICH: Geld verdienen im Schlaf

Stefan Hupka
  • Di, 10. März 2020
    Kolumnen

     

Wie sich ein soziales Netzwerk zum kollektiven Babyphone entwickelt / Von Stefan Hupka .

Mancher hat die Gabe, überall schlafen zu können – und vor aller Augen. Im Flugzeug, in der Redaktionskonferenz, im Bundestag oder in "Reli", sechste Stunde. Die meisten ziehen es vor, sich zurückzuziehen. Wer schläft, fängt keine Fische, sagt der Italiener. Der Produktivgesellschaft ist Schlafen stets ein wenig peinlich. Erst recht, wenn es zarte oder laute Sägetöne produziert. Wie in anderen Daseinsfragen aber hat das Internet auch daran etwas geändert, speziell in den sozialen Netzwerken. Da geht das Soziale einer wachsenden Anzahl Nutzer so weit, dass sie sich live beim Schlafen zuschauen und je nachdem, siehe oben, auch -hören lassen. Gemeint ist aber nichts Voyeuristisch-Erotisches, sondern der gemeine, langweilige, ereignislose Nachtschlaf.

Wie die New York Times berichtet, gibt es im Videoportal Tiktok bereits Hunderte, die ihre Smartphone-Kamera vor dem Einschlafen auf ihre Schlafstatt richten und online stellen. Und Tausende Follower, die den Schlafenden zuschauen und sich dabei per Chat unterhalten. Der Merkwürdigkeiten dritte: Man kann damit sogar Geld verdienen als Influencer. Der eine Streamer fand am anderen Morgen 50 Dollar als Spende per Digitalwährung überwiesen, ein anderer bloß 20, immerhin im Schlaf verdient.

Wo Geld fließt, sind die Trendforscher nicht weit. "Den Followern geht es weniger um den Schlafenden, als um den Echtzeitdialog untereinander im Chat", will einer herausgefunden haben. Ein anderer namens Brian Mendler sagt, die Leute, die sich hineinklickten, täten es aus "Sehnsucht nach authentischen, bewegenden Inhalten", auch habe der Anblick des Schlafenden einen "angenehm sedativen Effekt". Interessant, aber das wussten schon die Höhlenmenschen. Und wie schläft es sich so, wenn Hunderte quasi ums Bett herumstehen und tuscheln? Ein Online-Schläfer, Oscar Reyes, 18, sagt: "Ich spürte, dass sie auf mich aufpassen und mir nichts passieren konnte. Und ich schlief wie ein Baby." Ein kollektives Babyphone, wenn das kein Fortschritt ist.

Ressort: Kolumnen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 10. März 2020: PDF-Version herunterladen

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