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EU-Beitritte

Wie kann der Westbalkan zur EU aufschließen?

Adelheid Wölfl
  • Do, 07. Juli 2016
    Ausland

     

Sechs Länder auf dem Westbalkan wollen EU-Mitglieder werden. Noch fehlt eine Strategie, die das möglich machen würde.

Auch wenn gerade ein großes Mitgliedsland beschlossen hat, die Europäische Union zu verlassen, so wollen ihr sechs Länder auf dem Westbalkan immer noch beitreten. Und im Prinzip – das jedenfalls erklären alle – sind sie willkommen: "Es hat sich mit der Entscheidung Großbritanniens nichts geändert," sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in Paris. Die Regierungschefs und Außenminister von Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Albanien, Kosovo und Serbien trafen dort auf Einladung von Frankreichs Präsident François Hollande mit den EU-Mitgliedern Deutschland, Italien, Kroatien, Österreich und Slowenien in Paris zusammen.

Allerdings: Praktisch tut sich in Sachen Balkan-Erweiterung wenig. Vor zwei Jahren – vor der Flüchtlingskrise – war Deutschland in seiner Balkanpolitik noch sehr aktiv. Der erste Balkangipfel fand in Berlin statt – die Bundesregierung wollte regionale wirtschaftliche Kooperation fördern und den EU-Annäherungsprozess wieder ins Laufen bringen.

Zwei Balkangipfel sind die meisten Initiativen versandet. Bei den geplanten Infrastrukturprojekten auf dem Balkan – Straßen und Energiewege – ging kaum etwas voran. Die Vorstellung, dass Europa zusammenwächst und irgendwann alle europäischen Staaten der EU beitreten, ist durch das Brexit-Votum der Briten ohnehin endgültig ins Wanken geraten. Und der Einfluss der EU auf dem Balkan wird durch Russland und die Türkei mit ihren autoritären Machthabern herausgefordert. Eine echte Beitrittsdynamik für die Region gibt es nicht.

Im Vorjahr in Wien hatten die sechs Regierungen eine Willenserklärung unterschrieben, dass sie sich wechselseitig bei der EU-Integration nicht blockieren. Allerdings bleiben viele bilaterale Konflikte – meist geht es um Grenzfragen – weiterhin ungelöst. Immerhin haben kürzlich die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović und der serbische Premier Aleksandar Vucic vereinbart, offene Fragen im Sinne einer guten Nachbarschaft zu klären. Die gerade gestürzte kroatische Regierung hatte zuletzt die EU-Verhandlungen mit Serbien blockiert. Der Dialog zwischen Kosovo und Serbien ist, seit die engagierte frühere EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton diesen nicht mehr vorantreibt, ohnehin eingeschlafen.

Die größte Errungenschaft der Treffen der Balkan-Premiers ist bisher der regionale Jugendaustausch, der am Montag in Paris besiegelt wurde. Als Vorbild dient das deutsch-französische Jugendwerk, das das wechselseitige Verständnis zwischen den beiden Gesellschaften für Jahrzehnte auf historische Weise prägte. Ryco – so der Name der Initiative – soll ab 2017 Jugendliche aus den sechs Staaten zusammenbringen, um demokratische Werte zu fördern. Viele Jugendliche auf dem Balkan waren noch nie im Nachbarland.

Viele Junge waren noch

nie im Nachbarland

Diese Nachkriegsgeneration pflegt oft noch stärkere Vorurteile gegenüber den jeweils anderen Volksgruppen oder Religionen als die Elterngeneration, die noch im Vielvölkerstaat Jugoslawien aufwuchs, bevor dieser ab 1991 zerfiel. Das Balkan-Jugendwerk hat zwei Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, die Hälfte der Finanzierung muss von den Staaten selbst kommen, um auch das Engagement der Regierungen sicher zustellen.

Die Region hat durch die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo in den 90er Jahren und die folgende Instabilität ohnehin viel Zeit verloren. Überall fehlen Strukturreformen, um Investitionen zu ermöglichen und die Verwaltungen effizienter zu machen. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, "dass der Prozess der Angleichung an die EU – auf den die Region noch immer große Hoffnungen setzt – viel langsamer sein wird als in der Vergangenheit".

Der Balkan kann ohne massive Hilfe nicht aufholen. Erfolgt diese nicht, können sich die geopolitische Situation verschärfen und sich autoritäre Tendenzen verstärken. Beobachten konnte man dies deutlich in Mazedonien. Ab etwa 2008 war eine Erosion der Meinungs- und Medienfreiheit zu bemerken, eine kleine politische Gruppe brachte die Verwaltung, die Justiz und den Sicherheitsapparat unter ihre Kontrolle.

Immerhin hat die EU-Kommission ein paar Dutzend Millionen Euro für Infrastrukturprojekte zugesagt. Ein großer Teil der Bürger in Südosteuropa glaubt nicht mehr daran, dass der EU-Beitritt realistisch ist und viele Politiker wollen diesen ohnehin nicht – weil sie durch mehr Rechtsstaatlichkeit und Transparenz an Macht verlieren würden. Viele Menschen sind vom politischen System angewidert. Weil aber die Jungen und die Gebildeten weggehen, bleiben "Systemerhalter" zurück.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 07. Juli 2016: PDF-Version herunterladen

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