Account/Login

Studie

Zecken: Warum sie auch jetzt schon aktiv sind

Katharina Meyer
  • Mo, 28. März 2016, 21:45 Uhr
    Südwest

     

Zecken lauern nicht nur in Wald und Wiese, sondern auch im heimischen Garten. Auch die aktive Zeit der Zecken nimmt zu. Dass selbst im Winter Bisse möglich sind, weiß Parasitologin Ute Mackenstedt.

Die Temperaturen reichen, damit sie loslegt:  Zecke  | Foto: dpa
Die Temperaturen reichen, damit sie loslegt: Zecke Foto: dpa
Über die Gefahr durch die Spinnentiere sprach Katharina Meyer mit der Parasitologin Ute Mackenstedt von der Uni Hohenheim anlässlich einer Zeckentagung, die dort stattfand.


BZ: Frau Mackenstedt, draußen ist es noch frisch. Zu frisch für Zecken, oder?

Mackenstedt: So wie die Temperaturen im Moment sind, reicht es, damit die Zecken loslegen. Sobald die Temperaturen konstant die Zehn-Grad-Marke übersteigen, werden sie in der Regel aktiv – und dann geht es auch gleich massiv los.

BZ: Ihre Kollegen berichten sogar von einer Winteraktivität bei Zecken. Das heißt, als es im Dezember so warm war, wurden tatsächlich Menschen gestochen?

Mackenstedt: Durchaus. Es gab schon zahlreiche Jahre, in denen man winteraktive Zecken beobachten konnte. Natürlich sind das wenige Fälle im Vergleich zur Hauptzeit der Zeckenaktivität. Die ist im April und Mai. Im Juni und Juli gibt es meist eine Ruhezeit, da ist es den Zecken oft zu trocken und zu heiß. Im September beginnt dann eine zweite Aktivitätsphase, die bis in den November hinein reicht. Aber sie kann sich eben auch bis in den Dezember ziehen.

"Der Ortenaukreis ist bekannt dafür."

BZ: In den letzten zwei Jahren erkrankten deutlich weniger Menschen an der von Zecken übertragenen Frühsommermeningitis (FSME) als in den Jahren davor. Woran kann das gelegen haben?

Mackenstedt: Das ist eine schwierige Frage. Ein Grund kann die Hitze gewesen sein. Dann haben Sie eine geringe Zeckenaktivität, und wir sind auch nicht so viel draußen unterwegs. Aber die niedrigen Zahlen trügen auch: Sie zeigen die Situation in ganz Deutschland – je nach Landkreis kann es ganz anders aussehen. In Ravensburg etwa gab es 2015 acht FSME-Fälle, das waren deutlich mehr als die Jahre zuvor. Die FSME-Gebiete sind sehr kleinräumig. Man muss sich das wie einen Flickenteppich vorstellen – wobei die einzelnen Flicken nur so groß sind wie ein Fußballfeld. Wenn Sie in so einem Gebiet wohnen, liegt die Chance für eine Infektion natürlich höher.

BZ: Auch im Ortenaukreis gibt es viele Infektionen.

Mackenstedt: Der Kreis ist bekannt dafür. Wobei es auch dort in den letzten zwei Jahren weniger Fälle gab. Ich erwarte aber, dass die Zahlen wieder steigen.
"Von den 100 untersuchten Gärten waren zwischen 60 und 70 Prozent zeckenpositiv."

BZ: Für Baden-Württemberg hat Ihr Kollege Gerhard Dobler, der das Konsiliarlabor für FSME leitet, aber insgesamt gute Nachrichten: Schon seit 2001 habe es hier weniger FSME-Fälle gegeben.

Mackenstedt: Ich warne davor, Entwarnung zu geben. Es ist ein unheimlich kompliziertes Geschehen aus Zecken, Klima, Nagetieren und Menschen, das wir noch nicht verstehen. Man kann also retrospektiv sagen, dass die Anzahl der Fälle im Ganzen zurückgegangen ist. Aber wenn man sich einzelne Gebiete anschaut, zum Beispiel Emmendingen, sieht man, dass es auf die Einwohnerzahl bezogen relativ viele Fälle gegeben hat.
BZ: Kommen wir zu Ihrer Forschung. Sie haben die Gärten rund um Stuttgart untersucht und herausgefunden, dass man sich auch im heimischen Garten nicht allzu sicher fühlen sollte.

Mackenstedt: Ja. Von den 100 untersuchten Gärten waren zwischen 60 und 70 Prozent zeckenpositiv. Das hat uns wirklich überrascht. Wir hatten die Gärten in verschiedene Kategorien eingeteilt, waldnah, waldfern, innerhalb des Siedlungsbereiches und außerhalb – und wir haben überall Zecken gefunden. Wie naturbelassen der Garten ist, spielt natürlich eine Rolle. Wir haben aber auch in gepflegten Gärten – mit kugelförmigen Buchsbäumen und kurzem Rasen – Zecken nachgewiesen. Auch das hat uns überrascht.

"Zecken sind ausgezeichnete Überträger."

BZ: Wie kommen denn die Zecken in die Gärten?

Mackenstedt: Sie werden meist von Nagetieren eingetragen, oft von Rehen, aber auch von Hunden, Füchsen und Vögeln.

BZ: Und deren Zecken beißen alle auch Menschen?

Mackenstedt: Nicht alle, aber die meisten. Insbesondere der gemeine Holzbock, der hierzulande 95 Prozent der Zecken ausmacht.

BZ: Was kann man denn alles kriegen? Bekannt sind ja vor allem FSME und die bakterielle Borreliose.

Mackenstedt: Zecken können Bakterien, Viren und auch Parasiten an den Menschen weitergeben. Sie sind ausgezeichnete Überträger.

BZ:
Baden-Württemberg gilt als FSME-Endemie-Gebiet. Würden Sie den Menschen eine Impfung empfehlen?

Mackenstedt: Während die Impfrate im Österreich bei 80 Prozent liegt, sind es in Baden-Württemberg gerade mal 30 Prozent. Dabei kommen 80 Prozent aller deutschen FSME-Fälle in Baden-Württemberg oder Bayern vor. Wenn ich mich draußen aufhalte, jogge, mit meinem Hund gehe, laufe ich immer Risiko, eine FSME-positive Zecke zu erwischen. Dabei ist zu bedenken: Bei der Borreliose gibt es eine Therapie, bei der FSME nicht. Und wenn Sie eine schwierige Verlaufsform der FSME haben, können Sie eine Hirnhautentzündung bekommen, Lähmungen – bis hin zum Tod. Wenn Sie das riskieren wollen, dann ist das eben so. Sonst ist eine Schutzimpfung die einzig logische Konsequenz.

BZ: Woran kann ich denn als Laie eine Borreliose und FSME erkennen?

Mackenstedt: Hierzulande wird eine Borreliose zu 70 bis 80 Prozent von einer Wanderröte begleitet. Bei FSME sind Kopfschmerzen und Fieber erste Anzeichen.
"Man hat den Impfstoff schon vor vielen Jahren neu konzipiert."

BZ: Kinder kommen besser mit FSME zurecht. Sollten auch sie geimpft werden?

Mackenstedt: Kinder unter zwei Jahren sollten nicht FSME-geimpft werden. Und der Verlauf ist bei Kindern tatsächlich wesentlich weniger schwer. Es gibt aber eine schwedische Studie, die auch bei Kindern Folgeschäden gesehen hat, etwa Konzentrationsschwäche.

BZ: Die Impfung steht im Verruf, bei Kindern in seltenen Fällen schwere Schäden hervorzurufen.

Mackenstedt: Früher gab es solche Nebeneffekte. Man hat den Impfstoff aber schon vor vielen Jahren neu konzipiert, seitdem sind die Nebenwirkungen mehr oder weniger verschwunden. Sie können das nun mit den Begleiterscheinungen einer Masernimpfung vergleichen. Ab drei Jahren wird diese Impfung durchaus vorgeschlagen.
Ute Mackenstedt

Professor Ute Mackenstedt (60) hat Biologie studiert und leitet seit fast 20 Jahren das Fachgebiet Parasitologie an der Universität Hohenheim.

FSME-Fälle in Südbaden

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine Viruserkrankung mit Grippesymptomen und unter Umständen einer Hirnhautentzündung. Übertragen wird sie durch infizierte Zecken.

Anzahl der Erkrankungen pro 100 000 Einwohner 2010 bis 2014 in südbadischen Stadt- und Landkreisen:
Ortenau: 18,09 Emmendingen: 17,7 Waldshut: 7,88 Breisgau-Hochschwarzwald: 7,39 Freiburg: 6,07 Schwarzwald-Baar: 3,89 Lörrach:

2,7

Mehr zum Thema:

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 29. März 2016: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel